Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reise ohne Wiederkehr

Reise ohne Wiederkehr

Titel: Reise ohne Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna R. Unger
Vom Netzwerk:
deutschsprachigen Wissenschaft über den Nationalsozialismus hinweg aufrechterhalten und zweitens die Kontakte und Kooperation zwischen britischen und deutschsprachigen Wissenschaftlern verbessern. Weiterhin sollte das im Exil versammelte Wissen zur wissenschaftlichen und politischen Bildung der jugendlichen Exilanten genutzt werden, die später am Neuaufbau Deutschlands mitwirken sollten. Viertens schließlich wollte die FDH dazu beitragen, die westliche Öffentlichkeit über den deutschen Faschismus zu informieren. Hinter der kommunistisch beeinflussten Arbeit stand also auch das Bemühen, vom Exil aus einen Beitrag zum Kampf gegen den Nationalsozialismus zu leisten. Zu diesem Zweck hielt die FDH ähnlich wie eine Volkshochschule Kurse für Sprachen, Kultur, Politik und Sport ab und organisierte Konferenzen zur Situation und Zukunft der deutschen Kultur. Gegen Ende des Krieges fanden vermehrt Kurse statt, die den Exilanten praktische Kenntnisse beim Neuaufbau der deutschen Kultureinrichtungen und bei der „Umerziehung“ der Deutschen vermitteln sollten. Tatsächlich gingen nach Kriegsende viele Exilanten in die sowjetische Zone und beteiligten sich dort an der sozialistischen Kultur- und Bildungspolitik. Andere blieben in Großbritannien und führten die Kulturarbeit des Freien Deutschen Kulturbundes, der sich 1946 aufgelöst hatte, in Form des Heinrich-Heine-Bundes fort. 11
    Andere Einrichtungen konzentrierten sich mehr darauf, den Zusammenhalt der Exilanten zu gewährleisten, ihnen Gelegenheit zu geben, ihre Traditionen zu pflegen und sich in der neuen Gesellschaft zu orientieren. Dies war vor allem in den außereuropäischen, nichtwestlichen |51| Exilländern der Fall, u. a. in Ecuador: Insgesamt kamen ungefähr 4000 Personen nach Ecuador, die meisten von ihnen zwischen 1938 und 1939. Viele von ihnen ließen sich in der Hauptstadt Quito nieder, wo sie kleine Geschäfte und Handwerksunternehmen eröffneten. Ihre Kontakte zu den Einheimischen waren sehr begrenzt. Das hatte zum einen damit zu tun, dass letztere die Flüchtlinge als
gringos
betrachteten, die unter privilegierten Bedingungen in großer Distanz zur Mehrheit der Bevölkerung lebten. Zum anderen hatten viele Exilanten Vorbehalte gegenüber den vermeintlich „primitiven“ Einheimischen, denen sie sich kulturell überlegen fühlten. Eine umso wichtigere Rolle spielten die Verbindungen innerhalb der Exilgruppen.
    In Quito entstand schon 1938 eine jüdische Gemeinde, die Asociación de Beneficencia Israelita, die sich um das religiöse, soziale, kulturelle und gesundheitliche Wohl der Exilanten kümmerte und zahlreiche Unterorganisationen – Jugendgruppen, eine Beerdigungsvereinigung, ein Schiedsgericht usw. – beherbergte. Innerhalb der Aktivitäten der Gemeinde nahm die Pflege der deutschen Kultur eine prominente Stelle ein. Wie auch in kleineren Städten Ecuadors, in denen sich Flüchtlinge niedergelassen hatten, führten Theatergruppen bekannte deutschsprachige Stücke auf und spielten Kabarett. Darüber hinaus gab die Gemeinde eine Zeitschrift, die
Informaciones para los Inmigrantes Israelitas
, heraus, die über Entwicklungen innerhalb der Gemeinde berichtete, die Leserschaft mit dem Land vertraut zu machen versuchte, zionistische Standpunkte verbreitete und Auskunft über politische Ereignisse in Ecuador und in der Welt gab. Seit 1942 war in der Zeitschrift über die Ermordung von Millionen Juden in deutschen Vernichtungslagern in Osteuropa zu lesen. Solche Nachrichten bewegten einige dazu, sich zu politischen Gruppierungen zusammenzuschließen, um ihren Teil zum Widerstand gegen das NS-Regime zu leisten und den Einfluss der nationalsozialistischen Vereine, die es in Ecuador auch gab, zu bremsen.
    Eine dieser antifaschistischen Gruppen war das Movimento Alemán Pro Democracia y Libertad Ecuador, das rund 240 Mitglieder hatte. Allerdings beeinträchtigten politische Differenzen zwischen seinen |52| Mitgliedern die Effizienz der Arbeit. Auch der Zusammenhalt der Exilantengemeinde insgesamt war immer wieder durch Konflikte gefährdet. Zwar wurde nach außen hin stets betont, die deutschsprachigen Flüchtlinge seien eine große Familie, doch selbstverständlich kam es zu Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten zwischen Menschen, die so unfreiwillig auf engem Raum zusammenlebten, wie sie ihre Heimat verlassen hatten. 12
    Sofern es ihnen wirtschaftlich und psychologisch möglich war, grenzten sich einige Exilanten explizit von den zahlreichen

Weitere Kostenlose Bücher