Reise Um Die Erde in 80 Tagen
Fogg, und sprach mit Rührung, die sie nicht verbergen konnte:
»Mein Herr, Sie müssen mich preisgeben! Um meinetwillen verfolgt man Sie! Weil Sie mich gerettet haben!«
Phileas Fogg erwiderte nur, das sei nicht möglich. Wegen dieser Entführung der Witwe verfolgt, – das war nicht anzunehmen. Die Kläger würden nicht aufzutreten wagen. Es mußte da ein Mißverständniß obwalten. Herr Fogg setzte hinzu, jedenfalls werde er die junge Frau nicht im Stiche lassen, und werde sie nach Hongkong führen.
»Aber das Boot fährt schon um zwölf Uhr ab! bemerkte Passepartout.
– Ehe es zwölf Uhr ist, werden wir an Bord sein«, erwiderte ruhig der Gentleman.
Dies sprach er mit solcher Bestimmtheit, daß Passepartout nicht umhin konnte, sich selbst zu sagen:
»Der Tausend! Das heißt doch sicher! Vor zwölf Uhr werden wir an Bord sein!« Aber beruhigt war er durchaus nicht.
Um halb neun öffnete sich die Thüre, der Polizeimann trat herein und führte die Gefangenen in den daneben befindlichen Saal. Es war ein Verhörsaal, worin ein zahlreiches Publicum von Europäern und Eingeborenen bereits den Raum füllte.
Herr Fogg, Mrs. Aouda und Passepartout nahmen Platz auf einer Bank vor den Stühlen des Richters und Gerichtsschreibers.
Der Richter Obadiah kam alsbald in Begleitung des Gerichtsschreibers. Es war ein dicker, wohlbeleibter Mann. Er holte eine Perrücke, die an einem Nagel hing, und setzte sie rasch auf.
»Die erste Sache«, sprach er.
Dann aber, die Hand am Kopfe:
[93] »Nun! Das ist ja nicht meine Perrücke!
– Wirklich, Herr Obadiah, es ist die meinige, erwiderte der Gerichtsschreiber.
– Lieber Oysterpuff, wie kann ein Richter ein richtiges Urtheil fällen unter des Gerichtsschreibers Perrücke!«
Die Perrücken wurden getauscht. Während dieser Präliminarien saß Passepartout wie auf glühenden Kohlen, denn der Zeiger auf dem Zifferblatte der großen Uhr des Gerichtssaales schien ihm fürchterlich schnell vorzurücken.
»Die erste Sache, wiederholte der Richter Obadiah.
– Phileas Fogg? sagte der Gerichtsschreiber Oysterpuff.
– Hier bin ich, erwiderte Herr Fogg.
– Passepartout?
– Hier!
– Gut! sagte der Richter. Seit zwei Tagen erwartete man Euch bei jedem Zuge, der von Bombay kam.
– Aber weshalb sind wir verklagt? rief Passepartout voll Ungeduld.
– Das werden Sie gleich hören, versetzte der Richter.
– Mein Herr, sagte darauf Herr Fogg, ich bin englischer Bürger, und ich bin berechtigt ...
– Hat man's an Achtung fehlen lassen? fragte Obadiah.
– Durchaus nicht.
– Gut! Die Kläger sollen eintreten.«.
Auf des Richters Befehl öffnete sich eine Thüre, und ein Gerichtsdiener führte drei Hindupriester herein.
»Ja wohl! brummte Passepartout, diese Kerle haben unsere junge Dame verbrennen wollen!«
Die Priester standen vor dem Richter, und der Gerichtsschreiber verlas laut eine Klage auf Tempelschändung gegen Phileas Fogg und seinen Diener, weil sie einen durch die brahmanische Religion geheiligten Ort entweiht hätten.
»Sie haben's gehört? fragte der Richter Phileas Fogg.
– Ja, mein Herr, versetzte Herr Fogg, und ich gebe es zu.
– Ah! Sie geben es zu ...
[94] – Ich gebe es zu und erwarte, daß diese Priester ihrerseits gestehen, was sie in der Pagode zu Pillaji thun wollten.«
Die Priester sahen sich an. Sie schienen die Worte des Angeklagten nicht zu verstehen.
»Allerdings! rief Passepartout ungestüm, in der Pagode zu Pillaji, vor welcher sie ihr Opfer verbrennen wollten!«
Die Priester staunten abermals, der Richter Obadiah fragte verwundert:
»Was für ein Opfer? Verbrennen! Mitten in Bombay?
– Bombay? rief Passepartout.
– Allerdings. Von Pillaji ist keine Rede, sondern von der Pagode Malebar-Hill zu Bombay.
– Und zur Ueberführung, fügte der Gerichtsdiener bei, sind hier die Schuhe der Entweiher, und legte ein Paar Schuhe auf seinen Schreibtisch.
– Meine Schuhe!« rief voll Ueberraschung Passepartout, der die unwillkürliche Aeußerung nicht zurückhalten konnte.
Man denke sich die Verwirrung im Geiste des Herrn und Dieners. Sie hatten den Zwischenfall in der Pagode zu Bombay ganz vergessen, und wurden doch deshalb vor den Richter zu Calcutta geführt.
Wirklich hatte der Agent Fix darauf gesonnen, diesen leidigen Vorfall zu nützen. Er war noch zwölf Stunden zu Bombay geblieben und hatte da mit den Priestern von Malebar-Hill berathen; er hatte ihnen bedeutende Entschädigung zugesagt, denn er wußte, daß die englische
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