Reise Um Die Erde in 80 Tagen
er seinem Herrn.
Die beiden Gegner und ihre Zeugen begaben sich, vom Conducteur geführt, durch alle Waggons der Reihe nach bis an's Ende des Zuges. In dem hintersten Wagen befanden sich nur etwa zehn Reisende. Der Conducteur fragte sie, ob sie die Güte haben wollten, ihren Platz auf einige Augenblicke zwei Gentlemen zu überlassen, die eine Ehrensache mit einander abzumachen hätten.
Die Reisenden machten sich ein großes Vergnügen daraus, den beiden Gentlemen gefällig sein zu können, und zogen sich auf die Stege zurück.
Dieser fünfzig Fuß lange Waggon war für das Vorhaben ganz geeignet. Die Gegner konnten zwischen den Bänken auf einander los gehen, und nach Herzenslust auf einander schießen. Das Duell war sehr leicht zu regeln. Herr Fogg und der Oberst Proctor, jeder mit zwei sechsläufigen Revolvern versehen, gingen in den Wagen hinein, und wurden von ihren Zeugen, die außen blieben, eingeschlossen. Beim ersten Pfeifen der Locomotive sollte das Feuern beginnen ... darauf, nach zwei Minuten wollte man aus dem Wagen holen, was von den beiden Gentlemen noch vorhanden wäre.
Wahrhaftig höchst einfach; so einfach sogar, daß dem Fix sowohl wie Passepartout das Herz zerspringen wollte.
Kampf mit den Sioux. (S. 202.)
So wartete man auf das verabredete Zeichen, als plötzlich wildes Geschrei erschallte. Es knallten Schüsse, aber sie kamen nicht aus dem Wagen der Duellanten; sie verbreiteten sich sogar über die ganze Zuglinie bis zum vordersten Wagen. Entsetzliches Geschrei vernahm man aus dem Innern der Wagen.
Passepartout, Retter des Zugs. (S. 203.)
Der Oberst Proctor und Herr Fogg stürzten, die Revolver in der Hand, augenblicklich heraus und eilten nach vorn, wo die Schüsse und das Geschrei am ärgsten waren.
Es war klar, daß der Zug von einem Trupp Sioux überfallen war.
[200] [201] Diese kühnen Indianer machten aber nicht ihren ersten Versuch; sie hatten schon mehr als einmal die Züge angehalten. Nach ihrer Gewohnheit waren sie, ohne das Anhalten des Zugs abzuwarten, wohl hundert Mann stark auf die Einsteigtritte gestürzt und hatten die Waggons so flink erstiegen, wie ein Clown ein galopirendes Pferd.
Die Sioux waren mit Flinten bewaffnet, und ihre Schüsse wurden von den Reisenden, die fast alle bewaffnet waren, mit Revolvers erwidert. Gleich anfangs hatten die Indianer die Maschine überfallen und den Maschinisten, [202] wie den Heizer halb todt geschlagen. Ein Anführer wollte den Zug zum Stehen bringen; da er aber den Handgriff des Regulators nicht zu drehen verstand, so hatte er, anstatt zu schließen, dem Einströmen des Dampfes weiten Raum geöffnet, und die Locomotive stürmte mit erschrecklicher Geschwindigkeit vorwärts.
Zu gleicher Zeit fielen die Sioux die Waggons an, erkletterten wie wüthende Affen die Decken derselben, stießen die Thüren ein und kämpften Mann für Mann mit den Reisenden. Aus dem Gepäckwagen, den sie aufschlugen und plünderten, flogen die Collis auf die Bahn. Ununterbrochenes Schreien und Schießen.
Indessen vertheidigten sich die Reisenden muthig. Einige Waggons waren verbarrikadirt, eine Belagerung auszuhalten, gleich beweglichen Forts, die mit einer Schnelligkeit von hundert Meilen die Stunde fortsausten.
Vom Anfang des Kampfes an benahm sich Mrs. Aouda muthig. Den Revolver in der Hand vertheidigte sie sich tapfer, indem sie, wenn ein Wilder ihr vorkam, durch die zerbrochenen Scheiben schoß. Wohl zwanzig zum Tod verwundete Sioux lagen auf dem Bahnweg, und die von den Stegen herab auf die Schienen rutschten, wurden wie Gewürm von den Rädern zermalmt.
Einige von Kugeln oder mit Todtschlägern schwer verwundete Passagiere lagen auf den Bänken.
Doch mußte der Kampf ein Ende haben, der bereits zehn Minuten dauerte und zum Vortheil der Sioux ausschlagen mußte, wenn der Zug nicht zum Stehen kam. Die Station des Forts Kearney, wo sich ein amerikanischer Truppenposten befand, war nur zwei Meilen weit entfernt; aber wenn sie an diesem Posten vorüber fuhren, konnten die Sioux die Oberhand bekommen.
Der Conducteur kämpfte an Fogg's Seite, als eine Kugel ihn zu Boden streckte. Im Fallen rief er aus:
»Wir sind verloren, wenn der Zug nicht vor Ablauf von fünf Minuten zum Stehen kommt!
– Er wird zum Stehen gebracht, sagte Phileas Fogg, im Begriff, sich aus dem Wagen zu stürzen.
– Bleiben Sie, rief ihm Passepartout zu. Das geht mich an!«
Phileas Fogg hatte nicht Zeit, den muthigen Jungen zurückzuhalten. Er öffnete unbemerkt von
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