Reisen im Skriptorium
die Deckel im unteren Fach des Servierwagens abzulegen, sind ihre Augen nur noch eine Handbreit von dem anstößigen Übeltäter entfernt.
Sieh dich an, sagt Sophie zu Mr. Blanks erigiertem Penis. Dein Herrchen drückt mir ein paarmal die Titten, und schon stehst du auf der Matte. Vergiss es, Kumpel. Schluss mit lustig.
Tut mir leid, sagt Mr. Blank, und ausnahmsweise ist ihm das nun wirklich peinlich. Der ist ganz von alleine rausgesprungen. Ich habe nicht damit gerechnet.
Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, erwidert Sophie. Packen Sie das Ding nur wieder ein, damit wir endlich zur Sache kommen können.
Die Sache ist in diesem Fall Mr. Blanks Mittagessen:eine kleine Schale mit inzwischen lauwarmer Gemüsesuppe, ein Club-Sandwich auf Toast, ein Tomatensalat und ein Becher rote Götterspeise. Wir wollen vom Verzehr dieser Mahlzeit keinen erschöpfenden Bericht erstatten, eine Begebenheit soll jedoch nicht unerwähnt bleiben. Wie schon nach den Pillen, die Mr. Blank am Morgen genommen hatte, beginnen auch jetzt seine Hände unkontrolliert zu zittern, sobald er zu essen anfangen will. Jetzt mögen es andere Pillen sein, für andere Zwecke gedacht und in andere Farben gehüllt, aber was das Zittern der Hände angeht, ist ihre Wirkung dieselbe. Mr. Blank beginnt das Mahl, indem er sich über die Suppe hermacht. Wie man sich vorstellen kann, gestaltet sich die Antrittsreise des Löffels von der Schale zu Mr. Blanks Mund als schwierig, und nicht ein einziger Tropfen erreicht das erstrebte Ziel. Ohne eigenes Verschulden regnet der Inhalt des Löffels vollständig auf sein weißes Hemd.
O Gott, sagt er. Schon wieder.
Bevor die Mahlzeit fortgesetzt werden kann, oder genauer, bevor die Mahlzeit überhaupt anfangen kann, ist Mr. Blank genötigt, das Hemd auszuziehen – das letzte weiße Kleidungsstück, das er noch anhat – und gegen die Schlafanzugjacke einzutauschen, sodass er nun wieder exakt so bekleidet ist wie zu Beginn dieses Berichts. Das ist ein trauriger Augenblick für Mr. Blank, denn jetzt ist keine Spur mehr übrig von Annas freundlichen und sorgfältigen Bemühungen, ihn anzukleidenund für den Tag zurechtzumachen. Schlimmer noch, sein Versprechen, Weiß zu tragen, hat er nun vollständig gebrochen.
Wie vor ihr Anna übernimmt es jetzt Sophie, Mr. Blank zu füttern. Obgleich sie nicht weniger freundlich und geduldig ist als Anna, liebt Mr. Blank sie nicht so, wie er Anna liebt, und betrachtet daher, während sie ihm wechselweise Löffel und Gabel zum Mund führt, über ihre linke Schulter hinweg einen Fleck an der gegenüberliegenden Wand und stellt sich vor, es sei Anna und nicht Sophie, die da neben ihm sitzt.
Kennen Sie Anna gut?, fragt er.
Ich habe sie erst vor wenigen Tagen kennengelernt, antwortet Sophie, aber wir haben bereits drei- oder viermal lange miteinander geredet. Wir sind in jeder Hinsicht verschieden, aber in allem, was wirklich wichtig ist, sind wir vollkommen einer Meinung.
Zum Beispiel?
Was Sie betrifft, zum Beispiel, Mr. Blank.
Hat sie Sie deshalb gebeten, heute Mittag für sie einzuspringen?
Das nehme ich an.
Der Tag war für mich ziemlich schrecklich, aber dass ich sie wiedergefunden habe, hat mir ungeheuer gut getan. Ich weiß gar nicht, was ich ohne sie tun würde.
Sie empfindet für Sie dasselbe.
Anna … Aber wie weiter? Ich habe stundenlang versucht, mich an ihren Nachnamen zu erinnern. Ichglaube, er beginnt mit
B
, aber weiter komme ich einfach nicht.
Blume. Ihr Name ist Anna Blume.
Aber ja!, schreit Mr. Blank und schlägt sich mit der linken Hand an den Kopf. Was zum Teufel stimmt bloß nicht mit mir? Diesen Namen kenne ich mein Leben lang. Anna Blume. Anna Blume. Anna Blume …
Jetzt ist Sophie weg. Der Servierwagen aus Edelstahl ist weg, das mit Suppe bekleckerte weiße Hemd ist weg, die nassen und schmutzigen Kleidungsstücke aus der Wanne sind weg, und wieder einmal, nachdem er noch mit Sophies Hilfe ordentlich und ohne Zwischenfälle im Bad gepinkelt hat, ist Mr. Blank allein, sitzt auf der Kante des schmalen Betts, die Hände gespreizt auf den Knien, den Kopf gesenkt, und starrt den Fußboden an. Er denkt über die Einzelheiten von Sophies Besuch nach und macht sich heftige Vorwürfe, dass er ihr keine Fragen zu den Dingen gestellt hat, die ihn am meisten beschäftigen. Zum Beispiel, wo er sich befindet. Ob er ohne Aufsicht im Park spazierengehen darf. Wo der Schrank ist, falls es denn überhaupt einen
Weitere Kostenlose Bücher