Reisen und Abenteuer des Kapitän Hatteras
sogleich mit Schnee ab, um die Blutcirculation wieder herzustellen, und nehmen sich in Acht, wenn Sie an’s Feuer zurückkommen, denn Sie könnten sich Hände oder Füße verbrennen, ohne es zu bemerken; das würde Amputationen nöthig machen, und wir wollen doch suchen, Nichts von uns selbst in diesen Polargegenden zurückzulassen. Ueberdies aber, meine Freunde, denke ich, wir werden gut thun, uns nun im Schlafe einige Stunden Ruhe zu gönnen.
– Gern, antworteten des Doctors Gefährten.
– Wer hat die Wache beim Ofen.
– Ich, antwortete Bell.
– Nun gut, Freundchen, so sehen Sie darauf, daß das Feuer nicht nachläßt, denn es ist eine Teufelskälte diesen Abend.
– Beruhigen Sie sich, Herr Clawbonny, das spornt genug, und übrigens, sehen Sie doch, der Himmel steht ganz in Flammen.
– Ja, erwiderte der Doctor, der sich dem Fenster näherte, ein Nordlicht von vollkommener Schönheit! Welch’ prächtiges Schauspiel! Ich werde nie satt, es zu betrachten.«
In der That bewunderte der Doctor immer diese kosmischen Phänomene, welchen seine Genossen keine große Aufmerksamkeit mehr schenkten; er hatte übrigens bemerkt, daß ihrem Erscheinen immer Störungen der Magnetnadel vorhergingen, und notirte sich seine Beobachtungen, die für das »Weather-Book« 1 bestimmt waren.
Bald war dann Jeder, während Bell nächst dem Ofen wachte, auf seinem Lager gestreckt in ruhigen Schlummer gesunken.
Fußnoten
1 Das »Wetterbuch« des Admirals Fitz-Roy, in dem alle meteorologische Erscheinungen berichtet werden.
Zehntes Capitel.
Wintervergnügungen.
Das Leben am Pole ist von trauriger Einförmigkeit. Der Mensch ist vollständig den Launen der Atmosphäre unterthan, welche Stürme und strenge Kälte mit verzweifelter Eintönigkeit herbeiführt. Den größten Theil der Zeit ist es ganz unmöglich, einen Schritt aus dem Hause zu thun, und man bleibt in den Eishütten eingeschlossen. So vergehen lange Monate, welche die Ueberwinternden zu einer Maulwurfsexistenz verdammen.
Am anderen Tage ging das Thermometer um einige Grade herab, und die Luft war voll wirbelnden Schneegestöbers, wodurch das ganze Tageslicht entzogen ward. Der Doctor sah sich an’s Haus gefesselt und legte die Hände in den Schoß; er hatte Nichts zu thun, außer etwa den Verbindungsgang alle Stunden zu reinigen, der sonst sich ganz zu verstopfen drohte, und die Wände, welche von der Wärme im Innern feucht wurden, wieder zu glätten; das Eishaus selbst war höchst dauerhaft errichtet, und die Schneewehen, die seine Mauern verstärkten, erhöhten nur seine Widerstandsfähigkeit.
Die Magazine bewährten sich gleichmäßig gut. Alle aus dem Schiffe geräumten Gegenstände waren in bester Ordnung aufgestapelt in diesen »Warendocks«, wie sie der Doctor nannte. Obgleich diese Magazine übrigens kaum sechzig Schritt vom Hause entfernt lagen, so war es an manchen stürmischen Tagen doch fast unmöglich, sich dahin zu begeben; daher mußte auch eine gewisse Menge Proviant für den täglichen Bedarf immer in der Küche aufbewahrt werden.
Die Vorsicht, den Porpoise zu entladen, war ganz gerechtfertigt gewesen. Das Fahrzeug unterlag einem langsamen, unmerkbaren, aber unwiderstehlichen Drucke, der es nach und nach zerstörte. Es lag auf der Hand, daß aus seinen Trümmern Nichts zu machen sein werde; dennoch hoffte der Doctor immer, wenigstens eine Schaluppe zur Rückkehr nach England daraus zu gewinnen; der Augenblick, um deren Bau vorzunehmen, war aber noch nicht gekommen.
So verbrachten die fünf Wintergenossen den größten Theil der Zeit in tiefem Müßiggange. Hatteras lag in Gedanken versunken auf seinem Bette, Altamont trank oder schlief, und der Doctor hütete sich wohl, sie aus ihrem Halbschlummer zu erwecken, denn er fürchtete stets irgend einen bösen Wortwechsel. Nur selten sprachen diese beiden Männer mit einander.
Auch während der Mahlzeiten trug der kluge Doctor immer Sorge, die Unterhaltung zu führen und so zu leiten, daß keine Eigenliebe in’s Spiel kam; er hatte aber alle Mühe, die überreizte Empfindlichkeit abzulenken. Soviel als möglich suchte er seine Genossen zu unterrichten, zu zerstreuen oder doch ihr Interesse zu erregen. Wenn er nicht mit der Ordnung seiner Reisenotizen beschäftigt war, besprach er lauter Gegenstände aus der Geschichte, der Erdbeschreibung oder der Witterungskunde, welche sich aus ihrer Lage ergaben; er trug die Sachen in ansprechender, dem Verstand einleuchtender Form vor; zog aus den
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