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Reisen und Abenteuer des Kapitän Hatteras

Reisen und Abenteuer des Kapitän Hatteras

Titel: Reisen und Abenteuer des Kapitän Hatteras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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verstand es auch Hatteras, er, der lieber umgekommen wäre, als daß er die Hilfe seines Nebenbuhlers angerufen hätte. Jedenfalls hatte er kaum Zeit, sich darüber Rechenschaft zu geben, denn Altamont war schon nahe bei ihm.
    Hatteras, der zu Boden lag, suchte die Hörnerstöße und Huftritte der beiden Thiere abzuwehren; lange hätte er indeß diesen Kampf nicht fortzusetzen vermocht.
    Er war nahe daran, unvermeidlich in Stücke zerrissen zu werden, als zwei Flintenschüsse fielen; Hatteras fühlte die Kugeln fast seinen Kopf streifen.
    »Nur Muth!« rief Altamont, der sein abgeschossenes Gewehr von sich schleuderte und auf die wüthenden Thiere losstürzte.
    Der eine der Ochsen stürzte, im Herzen getroffen, zusammen; der andere wollte in schäumender Wuth dem unglücklichen Kapitän den Leib aufschlitzen, als Altamont ihm gegenüber sprang und mit der einen Hand sein Schneemesser tief zwischen die geöffneten Kinnbacken stieß, während er ihm mit der anderen durch einen furchtbaren Beilhieb den Kopf spaltete.
    Das Alles geschah mit so wunderbarer Schnelligkeit, daß ein Blitz hinreichend gewesen wäre, die ganze Scene zu beleuchten.
    Der zweite Ochse brach in den Knieen zusammen und fiel todt nieder.
    »Hurrah! Hurrah!« rief Clawbonny.
    Hatteras war gerettet.
    Er verdankte also sein Leben demselben Manne, den er in der Welt am meisten haßte! Was ging in diesem Augenblick in seiner Seele vor? Welche menschliche Regung, die er nicht zu bemeistern vermochte, stieg in ihr auf?
    Hier liegt ein Geheimniß des Herzens, das sich jeder Deutung entzieht.
    Wie dem auch sei, Hatteras ging ohne Zaudern auf seinen Rivalen zu und sagte mit ernster Stimme:
    »Sie haben mir das Leben gerettet, Altamont.
    – Sie hatten es mir gethan, erwiderte der Amerikaner, und nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: Wir sind quitt, Hatteras.
    – Nein, Altamont, erwiderte der Kapitän, als der Doctor Sie aus dem Eisgrabe hervorzog, wußte ich nicht, wer Sie waren, doch Sie haben mich mit eigener Lebensgefahr gerettet, trotzdem Sie wußten, wer ich sei.
    – Nun, Sie sind Meinesgleichen, entgegnete Altamont; doch sei dem wie ihm wolle, ein Amerikaner ist kein feiger Schurke.
    – Nein, gewiß nicht, rief der Doctor, er ist ein Mensch, ein Mensch wie Sie, Hatteras!
    – Und mit mir soll er den Ruhm theilen, der uns noch zu ernten bevorsteht.
    – Den Ruhm, zum Nordpole vorzudringen, sagte Altamont.
    – Ja wohl, erwiderte der Kapitän mit Selbstgefühl.
    – Ich hatte es also errathen, rief der Amerikaner; Sie haben gewagt, einen solchen Beschluß zu fassen! Sie haben zu versuchen gewagt, diesen unnahbaren Punkt zu erreichen. O, das ist schön; das sage ich Ihnen, ich; das ist herrlich!
    – Aber Sie, fragte Hatteras schnell, Sie befanden sich also nicht wie wir auf dem Wege zum Pole?«
    Altamont schien mit der Antwort zu zögern.
    »Nun? fragte der Doctor.
    – Nun denn, nein! sagte der Amerikaner. Nein! Die Wahrheit über die Eigenliebe! Nein, ich hatte den großen Gedanken, der Sie hierher geleitet hat, nicht. Ich wollte mit meinem Schiffe nur die Nordwestpassage durchfahren; das ist Alles.
    – Altamont, sagte Hatteras, dem Amerikaner die Hand entgegenstreckend, seien Sie also unser Ruhmesgefährte und kommen Sie mit uns, den Nordpol zu entdecken!«
    Und die beiden Männer reichten sich zum warmen, redlichen Drucke ihre Hände.
    Als sie sich nach dem Doctor umdrehten, standen diesem die Thränen in den Augen.
    »O, meine Freunde, sagte er, sich die Augen trocknend, wie vermag mein Herz die Freude, mit der Sie es erfüllen, zu fassen! O, meine theuren Gefährten, Sie haben für den gemeinschaftlichen Erfolg die leidige Frage wegen der Nationalitäten geopfert. Sie haben sich gesagt, daß weder England noch Amerika hierbei in Betracht kommen, und daß eine innige Sympathie uns gegenüber den Gefahren unserer Expedition verbinden muß. Wenn der Nordpol erreicht ist, was kommt darauf an, wer ihn entdeckt? Warum sich so erniedrigen und darauf pochen, daß man ein Amerikaner oder ein Engländer ist, wenn man sich rühmen kann, ein Mensch zu sein!«
    Der Doctor drückte die versöhnten Feinde in seine Arme; er konnte sich vor Freude kaum beruhigen, und auch die beiden neuen Freunde fühlten sich durch die Freundschaft, welche der würdige Mann ihnen entgegen brachte, nur noch mehr genähert.
    Clawbonny sprach, ohne sich zurückhalten zu können, von der Eitelkeit der Wettbewerbung, von der Thorheit des Rivalisirens, und von dem so nöthigen

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