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Reisende auf einem Bein

Reisende auf einem Bein

Titel: Reisende auf einem Bein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Mueller
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bestand aus drei Reihen Knoten. Sie legte die Halskette auf den Kühlschrank, hantierte langsam. Sie schien völlig mit der Halskette beschäftigt zu sein, als hätte sie sich ausgezogen, nur um die Kette abzulegen.
    Ganz kurz sah sie zum Bett hin, lächelte wie für sich selbst. Sie streifte den Armring ab. Er bestand aus drei Reihen brauner Knoten. Sie legte den Armring neben die Halskette auf dem Kühlschrank.
    Zweimal neigte sie den Kopf, nahm aus jedem Ohrläppchen einen Ohrring, der aus einem braunen Knoten bestand, legte die beiden Ohrringe auf den Kühlschrank.
    Die Frau kicherte, öffnete die Tür des Kühlschranks. Eine Lampe, die so hell wie die Nachtlampe war, leuchtete auf, strahlte ihren Bauch an.
    Die Frau nahm aus dem Kühlschrank ein leeres Tablett. Sie legte die Halskette, den Armreif und die Ohrringe auf das Tablett. Sie stellte das Tablett zurück in den Kühlschrank, schloß die Tür des Kühlschranks. Der Mann löschte im selben Augenblick die Nachtlampe aus.
    Die Frau stöhnte und der Mann keuchte im Dunkeln.
    Dann ging das Licht im Kühlschrank an. Gleich darauf leuchtete die Nachtlampe.
    Die Frau nahm das Tablett aus dem Kühlschrank.
    Langsam, völlig mit sich selbst beschäftigt, legte sie die Kette, den Armring, die Ohrringe an, als hätte sie mit dem Mann geschlafen, nur um den Schmuck wieder anzuziehn. Der Schmuck bewegte sich. Die braunen Knoten waren lebende Weinbergschnecken.

14
    WAS HAST DU so lange getan, fragte Stefan, weil er auf Irene gewartet hatte.
    Irene sagte:
    Ich habe mich nicht beeilt.
    Irene hatte gelogen.
    Geschminkt hatte Irene sich. Sie wollte es Stefan nicht sagen, daß sie sich vor dem Spiegel eingelassen hatte auf die Poren an den Wölbungen der Nase und auf die zerknitterten Falten am Rand beider Augen.
    Und, daß etwas wie Gefühllosigkeit da war, als sie sich mit den Fingern auf dem Lidschatten beeilt und alles verlangsamt hatte.
    Und Wimperntusche hatte mitten im Augapfel gestanden, als heiß und kalt der Gedanke: immer eine Andere hinter diesem Gesicht, Irene durch den Kopf gegangen war.
    Die Wimperntusche im Augapfel brannte.
    Du liebe Zeit, sagte Stefan, die haben den Platz unglaublich aufgemotzt.
    Wenn Stefan aus dem Büro kam, sagte er: Ich hab tüchtig Dampf gemacht. Den hab ich tüchtig zusammengeschissen, sagte Stefan, wenn er mit einem Mann gestritten hatte. Hatte Stefan mit einer Frau gestritten, sagte er: Wir haben uns unheimlich angefetzt.

    Auf der Straße blickte Stefan sich unerwartet um. Schaute einer Frau nach: Scharf. Schaute einem Mann nach: Schräge Type.
    Manchmal sagte Stefan: Das darf doch wohl nicht wahr sein. Oder: Ich krieg mich nicht mehr ein: Oder: Das isn Ei, was.
    Zwischen den Sätzen anderer sagte Stefan: Alles klar. Prima. Spitze. Super. Klasse. Und zwischen den eigenen Sätzen sagte er: Vielleicht.
    Am Morgen werde ich oft vom Läuten des Telefons geweckt, sagte Irene. Das ist unnachgiebig. Das ist ein Befehl. Das schlägt in den Kopf, bis ich wach bin. Ich wanke ans Telefon. Es ist eine Ungleichheit zwischen dem Befehl des Läutens und der ruhigen Stimme, die dann spricht. Ich höre zu mit geschlossenen Augen, sagte Irene. Mist, sagte Stefan, das ist natürlich Mist. Und er sagte: Du bist zu freundlich. Du bist für jeden erreichbar. Du suchst dir die Leute nicht aus. Du wirst dich noch wundern, was es alles gibt.
    Hatte Irene sich Stefan ausgesucht. Franz. Sie wußte es nicht.
    Schau dich an, sagte Stefan, du hast noch immer dieses Lächeln aus dem Osten.
    Er küßte Irene auf die Wange. Irene lächelte:
    Hast du es gespürt.
    Was.
    Das Lächeln aus dem Osten.
    Nein, nur daß du traurig bist.
    Stefan redete von einem Anrufbeantworter.
    Wenn jemand dran ist, mit dem du ums Verrecken nicht reden willst, dann gehst du nicht ran.
    Ums Verrecken hatte er gesagt. Irene sah in sein Gesicht:
    Ich werde mich wehren. Nicht so. Mit Verrecken hat das nichts zu tun.
    Stefans Blick hielt diesen Sätzen nicht stand. Er lachte aus Verlegenheit. Sein Gesicht verkleinerte sich, je länger Irene hinsah. Seine Backenknochen mahlten.
    Dieses Schlagen im Bauch, sagte Stefan. Wenn ich unterwegs bin, bin ich immer erregt. Alles, was ich sehe, faßt mir an die Haut.
    Auch Leute, die in Gruppen reisen, sind immer erregt. Beamte und Sekretärinnen, wie verwandelt. Kennst du diese Euphorie, die lachen immer und essen immer, weil sie so erregt sind. Haben Blähungen und Schluckauf und werfen ihre Netze aus. Ihre Erregung will immer zu anderen, aus der

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