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Reisende auf einem Bein

Reisende auf einem Bein

Titel: Reisende auf einem Bein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Mueller
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Gruppe hinaus.
    Wenn sich bis zum Schlafengehen nichts ergeben hat, sagte Stefan, suchen sie in den Hotels die Nachbarzimmer auf. Schleichen nachts durch die Gänge. Kennst du dieses Schleichen, das vor sich hin brennende Licht, die halb zugezogenen Gardinen, Bahnhöfe leuchten in der Nähe. Und egal in welche Richtung die Gänge führen, überall die runden, beleuchteten Bahnhofsuhren wie Monde. Sie schimmern durch den Vorhang. Man hört die eigenen Schritte auf den Teppichböden nicht, nur das Knacken des Fahrstuhls weit unten und das leise Telefonieren des Nachtportiers an der Rezeption. Und alles, was man tut, ist wie ein Einbruch.
    Es ist nicht verboten, sagte Irene, es ist nur das schlechte Gewissen.
    Stefan schüttelte den Kopf.
    Das steht alles drauf auf der Rechnung, sagte Irene, das ist vorgesehen, das steht in den Zahlen drin, auch wenn man es nicht tut. Das Personal erwartet es. Das und noch mehr. Ich kenne nur das Strumpfhosen- und Höschenwaschen in den Hotels, sagte Irene. Wasser über den Händen. Draußen ist es dunkel, als hätte ich die Stadt nie gesehn. Der Schaum wird so grau, daß ich noch einmal die Straßen seh. Ich will nicht mehr hinsehen. Ich seh nur in den Spiegel und rechne nicht mit meinem Gesicht. Dann steht es da neben der Zahnbürste. Der Abfluß saugt. Später das Tropfen der Strumpfhosen am Kleiderbügel. Er hängt an der Schranktür. Das Wasser steht eine Weile auf dem Rand zwischen Teppich und Schrank. Dann das Trocknen des Höschens nachts, wenn ich mir vornehme, gegen alles, was mir durch den Kopf geht, zu schlafen. Dann wird es Halbschlaf, durch den ich die Geräusche hör. Manchmal knistert der Schrank oder der Stuhl. Die Luft riecht nach staubigen Decken. Oft knips ich das Licht an und frag mich, weshalb Strumpfhosen auf Kleiderbügeln die Nächte länger machen.
    Wenn ich die Stadt betrete, sagte Stefan, denk ich sofort an dich. Ich nehme mir das nicht vor. Doch es tritt ein, ganz gleich, wie lang ich weggewesen bin. Am liebsten würde ich den Koffer hinstellen und dich anrufen. Dann steh ich in den großen Hallen, dann fällt mir nichts ein. Ich müßte schweigen. Dastehn und schweigen.
    Mit dir wäre es anders, sagte Stefan. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es mit dir wär. Ich kenne dich.
    Neugierde, sagte Irene. Es ist Neugierde auch bei mir. Und etwas dazu, was mich nicht drängt. Was mich warnt.
    Irene hatte sich an Stefans bleiches Gesicht gewöhnt. Oder war es gar nicht bleich. Waren nur die Schatten dunkel. Das Mahlen unter seinen Wangen, das waren keine Schatten.
    Irene hatte den Eindruck, daß diese mahlenden Backenknochen Stefan etwas ins Ohr sagten, wenn er schwieg.
    Es ist seltsam, sagte Irene, wenn du von Frauen erzählst, bin ich viele Frauen zugleich. Ich kenne sie nicht. Solange du erzählst, werde ich wie sie. Es ist verbrauchte Liebe, nachgestellt mit mir. Ich werde nicht einsam, das warnt mich vor dir.
    Stefan sah durch sein Glas hindurch. Der Bierschaum verdeckte seine Augenbrauen.
    Stefans Mund stand schief.
    Ich spüre dich. Du lehnst am Tisch, und ich spüre dich, als ob ich der Tisch wäre, sagte er.
    Irene lehnte den Kopf an Stefans Schulter. Spürte einen Knick am Hals. So unerwartet ließ sie den Kopf auf seine Schulter fallen, als wäre es von der Geschwindigkeit in einer Biegung.
    Mit dem Mund auf seinem Rock sagte Irene:
    Jetzt lehne ich an dir, und ich spür dich, als ob du der Tisch wärst.
    Stefan hob ihr Kinn hoch:
    Wer glaubt dir das. Schau deinen Hals an.
    Immer öfter, sagte Irene. Brach den Satz ab, schaute zur Theke. Sagte dann, als wäre es ein anderer Satz:
    Immer öfter fühl ich mich wie danach. Ich sitz hier mit Leuten zusammen, als wären sie längst weggegangen. Auch du.
    Stefan küßte Irenes Hals:
    Und du.
    Stefans Glas war leer. Die Schaumspuren klebten am Rand. Stefan hob das Glas und hielt es schief. Die Zitronenscheibe bewegte sich.
    Er küßte Irenes Fingerspitzen und sah zur Decke hinauf. Seine Augäpfel bewegten sich, als schaue er einem kreisenden Gegenstand nach.
    Stell dir vor, alle sind weggegangen, sagte Irene. Ein Mann sitzt allein in einer leeren Kneipe und täuscht einen Kuß vor.
    Stefan sah kurz zu ihr. Das Rote aus seinen Augen trat in Irenes Augen.
    Wo, fragte Stefan.
    Irene zeigte auf seinen Stuhl.
    Einmal in der Nacht, ich glaub es war im März, sagte Irene, hast du angerufen. Du warst in einem kleinen Hotel. Damals hast du ohne Übergang gesagt, ich sei die einzige Frau, die du noch nie betrogen

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