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Reisende auf einem Bein

Reisende auf einem Bein

Titel: Reisende auf einem Bein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Mueller
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Gesicht.

13
    DIE FRAU las die Beschreibung auf der Rückseite der Verpackung. Legte die Seife in den Einkaufswagen. Der war voll mit Flaschen, und Schachteln, und Dosen. Eine Verpackung schien der anderen die Farbe zu entziehn.
    Als sich der Knoten aus dem Hals in den Mund hob und die Schläfen in den Ohren klopften, sah Irene weg.
    Neben Scheren und Korkenziehern lag Wolle. Neben Suppenkellen hingen Zöpfe aus schwarzem Haar.
    Irene stellte sich den Fleischverkäufer hinterm Pult mit einem schwarzen Zopf vor. Er hielt den Kopf schief. Der Zopf war schwer. Er mußte aus Fleisch sein.
    Irene ging an den Broten vorbei. Werbetexte zogen durch ihre Stirn. Es waren Werbeverse: Beim JaWort schweigt die junge Braut, weil sie noch rasch ein PaechBrot kaut. Irene sagte statt: junge Braut, weiße Braut. Suchte einen anderen Reim auf Braut: Beim JaWort schweigt die weiße Braut, weil sich die Erregung staut. Dann suchte Irene im Laden alles, was weiß war: Toilettenpapier, Windeln, Slipeinlagen, Watte, Tampons. Brotschnitte: Eine Braut, so weiß wie Brotschnitten, sagte Irene vor sich hin.
    Durch das Gitter des Einkaufswagens, den ein Mannschob, fiel ein Radieschen. Der Mann bückte sich. Ließ das Radieschen in die Rocktasche fallen.
    Am Ende des Regals rasselte die Kasse.
    Die Kassiererin sah durch Irene auf die Straße hinaus. Sie hatte eine frische Wunde am Finger. Sie sah, wenn sie die Zahlen in die Kasse tippte, die Wunde an.
    Irene schob den leeren Einkaufswagen an der Kasse vorbei.
    Wer nichts kauft, hat etwas gestohlen, freute sich Irene.
    Die Freude im Kopf war so groß, daß sie das Gehirn in die Schwebe trieb. Sie war heiß und stand quer im Kopf.
    Die Einkaufswagen blinkten neben dem Ausgang. Standen dicht hintereinander. Einer in den Bauch des anderen geschoben. Die Räder standen schief.
    Vor der Ladentür, Gemüse. Über den Orangen und dem Blumenkohl flirrte das Licht. Irene hatte den Eindruck, daß in diesem Licht Salat, Zitronen und Champignons zusammenflossen und Blumen bildeten.
    Der Mann mit dem Radieschen in der Rocktasche ging in die andere Richtung.
    Da war der Sommer überall als lange Lücke zwischen immer kürzer werdenden Gedanken.
    In der Mitte des Parks lagen Leute auf bunten Tüchern. Sie waren nackt und hatten die Augen geschlossen. Wenn sie den Arm oder das Bein oder eine Falte im Gesicht bewegten, war es ohne Absicht.
    Ein Mann ging an den bunten Tüchern vorbei. Er sah die Liegenden an. Die Frauen sah er länger an alsdie Männer. Die Frauen, die allein auf den Tüchern lagen, am längsten.
    Er trug eine Armbanduhr mit einem schwarzen Zifferblatt. Nachts leuchten die Zeiger und Zahlen, dachte Irene.
    Der Rand der Uhr war vergoldet. Er brannte in der Sonne, daß ein Strahl Irenes Stirn berührte wie ein Schuß.
    Die Bäume drehten sich. Standen mit den Kronen eine Weile zwischen den Liegenden. Irene ging auf dem Kopf.
    Auf Irenes Arm schwirrte der Schatten einer Fliege. Es war keine Fliege da.
    Hinterm Park lag die Tankstelle. Über dem Dach stand: Tag und Nacht. Die Wände waren aus Glas. Werbung, löwenzahngelb und kein Auto im Mittag, kein Mensch.
    Eine Frau ging auf die Tankstelle zu. Überquerte die Straße, allein, an verbotener Stelle. Die Schnalle ihres Gürtels glänzte.
    An diesem Tag war der Himmel kleiner als ein Auge.
    Irene setzte sich ins Gras.
    Sie schrieb eine Karte:
    Franz, ich liege im Park in der Sonne. Eine Witwe führt eine Schildkröte an einer Leine, die ein weißer Faden ist, spazieren. Das Gesicht der Witwe ist müde, wenn sie im Schatten geht. Und wenn sie in der Sonne geht, ist es alt: Es ist viel Ruhe in ihrem Gesicht. Ich hab die Witwe mit der Schildkröte schon mal gesehn. Im gleichen Park unter den gleichen Bäumen. Vielleicht war es in dem anderen Land oder in eineranderen Stadt. Vielleicht in einem Film. Mag sein, ich hab mir die beiden nur vorgestellt, und tu es jetzt auch. Doch, daß sie überwintert haben, wundert mich. Dieser Spätsommer. Wenn die Sonne scheint, hab ich mich dumm gewartet und das Gehen auf dem Trockenen verlernt. Ich bin müde und innerlich so wach, daß ich die Augen nicht geschlossen halten kann. Ich hab die Strümpfe ausgezogen und die Schuhe: Ich seh meine Zehen von weitem. Ich möchte nicht, daß es meine sind.
    Dann stand Irene auf den Zehenspitzen, auf ihrem eigenen Schädel.
    Irene zog die Strümpfe und Schuhe an.
    Sie ging den kürzeren Weg durch den Park. Es war ein Kiesweg mit Sträuchern zugehängt.
    Irene trug eine Tüte. Sie

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