Reiterhof Birkenhain 03 - SOS Pferd verschwunden
Jule natürlich auch.
»Karpalgelenk«, murmelte sie heiser. Und mit diesem Wort auf den Lippen schlief sie ein.
Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als Jule am Montag davon aufwachte, dass Sally vor der Hütte mit leeren Zinkeimern Fußball spielte. Das blecherne Scheppern klang in Jules Ohren so himmlisch wie Glockengeläut. Es hieß nämlich: Die Nacht war vorüber! Nur leichter Brandgeruch in der Luft erinnerte an die schrecklichen Besucher.
»Mäuschen, heute geht es zurück«, wollte sie Sally Zurufen, aber schon das »Mäu...« erstickte in ihrer Kehle. Der Hals brannte lichterloh. Ihr Gesicht glühte. Sie hatte Fieber.
Jule versuchte aufzustehen. Doch kaum kam sie hoch, wurde ihr schwindelig und sie ließ sich auf den nächsten Heuballen fallen.
Jule starrte abwechselnd auf den Sattel und auf Sally. Unmöglich, in diesem Zustand zu traben. Von Galopp ganz zu schweigen. Vor Schwäche würde sie beim geringsten Stolpern vom Pferd fallen. Also die ganze Strecke Schritt. Mehr als drei Stunden. Tolle Aussichten.
Aber sie mussten los. Der Wasservorrat war aufgebraucht. Auf keinen Fall konnte sie heute noch einmal vier Eimer schleppen. Ihre Schultern, ihre Arme, der Rücken fühlten sich an wie Weichgummi.
Jule fasste unter den Sattel und setzte ihn gleich wieder ab. War der immer so schwer gewesen? Sie biss die Zähne zusammen. »Nun aber los«, würde Herr Jensen sagen. Noch einmal versuchte sie es. Unmöglich. Ihre A rme zitterten und ihr brach der Schweiß aus. Und ohne Sattel reiten? Dazu musste man topfit sein. So, wie sie sich fühlte, konnte sie die Sache vergessen.
Sally ließ die Eimer liegen und trottete in den Unterstand. Herausfordernd stupste sie Jule an.
»Was ist?«, hieß das. »Kommst du nicht mit raus?«
Jule schlang ihre Arme um Sallys Hals.
»Lass mich noch etwas schlafen«, flüsterte sie. »Heute Nachmittag. Ja, heute Nachmittag, dann klappt es bestimmt.«
Tatsächlich schlief Jule gleich wieder ein. Aber viel länger, als sie geplant hatte. Es war neunzehn Uhr und die Sonne stand schon tief. Der Schlaf hatte keine Besserung gebracht. Jule fühlte sich kranker als zuvor.
Mit größter Mühe öffnete sie die Augen. Wie durch dichte Nebelschwaden sah sie Sally fünf Meter weiter grasen. Jules Kopf dröhnte. Jeder einzelne Knochen tat ihr weh. Nicht mal bis zum Golfplatz würde sie reiten können, das dämmerte Jule als Erstes. Als Zweites wurde ihr klar, dass Sally Wasser brauchte.
Schuldbewusst rappelte sich das Mädchen auf. Es gab nur eine Möglichkeit: Sally musste auf eigene Faust losgehen und sich Wasser suchen. Jule war sicher, dass sie den Weg zum Golfplatz einschlagen würde. Pferde merken sich Wasserstellen. Der kleine Teich auf der Anlage hatte Sally jedes Mal magisch angezogen. Wenn man das Pferd dort entdeckte, würde man auch sie in der Nähe vermuten, überlegte Jule.
Zu dumm, dass sie nicht mal Kuli und Papier mitgenommen hatte. Sonst hätte sie Sally eine Beschreibung ans Halfter binden können, wo sie steckte. Dann kam ihr eine andere Idee. Sie angelte ihr T-Shirt von einem vorstehenden Nagel in der Bretterwand, ging damit zu Sally und knotete das weiße Hemd ans Halfter.
»Wenn sie mein T-Shirt bei dir finden, suchen sie bestimmt nach mir«, wisperte Jule heiser. Eine neue Hustenattacke überfiel sie. »Die weiße Farbe heißt nämlich AUFGABE. Jedenfalls im Krieg.«
Einen Versuch war es wert. Und vielleicht schaffte sie selbst es ja später noch bis zur Telefonzelle.
Jule führte Sally über die Wiese zum Gatter und öffnete das Tor. Mit einem leichten Klaps schob sie Sally hinaus. »Such Wasser, Mäuschen«, flüsterte sie.
Bereitwillig marschierte das Pferd zunächst los. Aber schon nach wenigen Schritten drehte Sally um und zwängte sich energisch durch die Toröffnung zurück auf die Weide. Was sollte sie draußen, wenn ihre Freundin nicht mitkam?
»Geh schon, Mäuschen.«
Wieder schickte sie Sally hinaus und erneut kehrte die Stute zurück. Das Spiel wiederholte sich noch dreimal. »Es geht nicht anders.« Schweren Herzens verriegelte Jule das Gatter. »Lauf doch, Sally ...«
Kapitel 12
Bringen Hufeisen Glück?
»Was die Leute heutzutage wegwerfen -unglaublich«, knurrte der Platzwart des Golfclubs, klemmte seine breite Harke unter den Arm und bückte sich nach einem weißen T-Shirt.
Dieter Lindemann fing gerade seinen Dienst an. Wie jeden Tag war er auch an diesem Dienstagmorgen der Einzige hier. Bis acht Uhr musste sein Teil der Anlage, das
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