Reiterhof Birkenhain 03 - SOS Pferd verschwunden
sich täglich um die Stute kümmerte, sei das Pferd überhaupt noch auf dem Reiterhof. Und nun sollte sie ihm beibringen, dass sie Sally wochenlang nicht betreuen konnte?
Großartige Aussichten!
»Also, Julia, wir verstehen uns«, sagte ihr Vater, bevor er die Tür wieder hinter sich zuzog. »Du wirst Mutti und mir noch dankbar sein, wenn du dein Zeugnis siehst.«
Jule lehnte sich in ihren Drehstuhl zurück, kaute an ihrem Kugelschreiber und starrte auf die unbenutzte Reitkarte.
Schule, Schule, Schule. Das war alles, worüber ihre Eltern mit ihr redeten, wenn sie abends nach Hause kamen. Wie lange war es her, dass sie etwas zusammen unternommen hatten? Ewigkeiten! »Familie light« nannte Jule diesen Zustand. Aber das hatte sie nur ihrem Tagebuch verraten.
Musste sie damit rechnen, dass ihre Eltern hinter ihr herspionierten? Stallmäßig? Zuzutrauen war es ihnen. Unmöglich, die heimlichen Besuche bei Sally sechs Wochen durchzuhalten.
Gab es denn keinen Ausweg?
Jule dachte sich verschiedene Möglichkeiten aus, betrachtete sie von allen Seiten, verwarf sie wieder. Sie überlegte den ganzen Abend, die halbe Nacht und den nächsten Morgen in der Schule.
Noch während Jule nachmittags in den Stall fuhr - es war der erlaubte Dienstag -, grübelte sie weiter. Sie konnte es drehen, wie sie wollte - sie musste Kai Jensen sagen, dass sie Stallverbot hatte. Hoffentlich fand er einen netten Sally-Betreuer! Einen, der ihr nicht Sallys Liebe wegnehmen wollte. Einen Erwachsenen. Fritz Voß. Oder Steffi Keck. Zugegeben, die waren schon steinalt. Aber davon abgesehen - astreine Reiterkollegen.
Hauptsache, Herr Jensen suchte sich keinen von den Jugendlichen aus. Jule hatte eine Heidenangst davor, eines Tages auf dem Reiterhof zu erscheinen und ihre Sally mit einem anderen Mädchen schmusen zu sehen ...
Schon am Eingangstor des gemütlichen, alten Bauernhauses drang Kai Jensens aufgebrachte Stimme an ihr Ohr: »Also wirklich, Kubi, guck dir diese verrückte Stute an. Dieses Theater mit ihr auf der Weide. Rein mit dir!« Kubi, das war Eberhard Kubelik, der Schmied. Kein Zweifel, Herr Jensen regte sich gerade über Sally auf. Als Nächstes hörte Jule, dass eine Boxentür zurückgeschoben wurde. Sekunden später flitzte Blaumann, der Stallkater, an Jules Beinen vorbei. Unwillkürlich musste sie lachen. Der hatte mal wieder in Sallys Box geschlafen und war gestört worden.
»Was würde ich bloß mit der Sally machen, wenn ich Jule nicht hätte?«, seufzte Herr Jensen. Geräuschvoll rastete die Boxentür ein.
Jule wusste auch ohne Erklärung, was vorgefallen war: Wahrscheinlich hatte der Stallbesitzer zum hundertdreiundfünfzigsten Mal versucht Sally auf die Weide zu bringen. Und sie war zum hundertdreiundfünfzigsten Male über den Zaun gesprungen und zurück in den Stall gerannt. Länger als eine halbe Stunde hielt sie es nie ohne einen Menschen an ihrer Seite aus.
Vorsichtig steckte Jule ihre Nase um die Ecke und strich ihr kastanienrotes Haar aus der Stirn.
»Ah, da bist du ja«, rief Herr Jensen ihr gleich zu. Ihm entging nichts in seinem Stall. Nicht mal eine Nasenspitze, die hinter einem Mauervorsprung hervorlugte. Seine Stimme klang gereizt. Jule sah mit gemischten Gefühlen, dass er sich mit einer Hand die rechte Backenseite hielt. Oje! Zahnschmerzen. Auch das noch. Das würde das Gespräch nicht leichter machen.
Ka i Jensen stemmte beide Arme in die Seiten und deutete mit dem Kopf auf Sally. »Deine verrückte Stute bringt mich mal wieder zum Wahnsinn. Nicht mal zwanzig Minuten hat sie es auf der Weide ausgehalten.«
Jule nickte bedrückt. »Kann ich Sie gleich mal sprechen?«, fragte sie schnell. »Allein?« Je eher sie das hinter sich hatte, desto besser.
Kai Jensen stutzte. So ernst? Dieser Ton passte gar nicht zu Jule. »Später«, sagte er, »ich muss mich erst um Kubi kümmern. Nimm doch Sally zum Putzen mit auf den Hof. Die anderen sind auch da.« Schon war Kai Jensen in der Sattelkammer verschwunden, wo der Plan für den Schmied hing.
Sally stand mit erwartungsvollem Gesicht hinter den Gitterstäben und schnaubte leise, als sie ihren Lieblingsmenschen erblickte. »Na, Mäuschen«, flüsterte Jule und strich ihr über den samtigen Nasenrücken, »hast du den Chef wieder zur Weißglut gebracht?« »Mäuschen« prustete zustimmend und schlug mit den Vorderhufen ungeduldig gegen die Tür. Sie wollte wieder nach draußen. Aber diesmal mit Jule!
Draußen dröhnte fetzige Musik aus dem Kassettenrekorder des
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