Reiterhof Birkenhain 04 - Ein starkes Team
konnte so dramatisch betteln . . .
Rocky roch die Leckerli und wollte sich die Beute auf keinen Fall entgehen lassen. Er holte hörbar Luft und zog seine Mitleidsnummer ab. Der schwarze Traber setzte den Blick »unschuldig verurteilt« auf. Alles Leid der Welt lag in seinem Gesichtsausdruck.
»Heute gibt's leider nichts, Rocky«, sagte Conny. Unbeeindruckt von der Absage behielt Rocky seine anklagende Miene bei. Als die nach weiteren zwei Minuten immer noch keine Wirkung bei Conny zeigte, neigte der Traber den Kopf zur Seite und ließ seine Unterlippe zittern. Eine überwältigende Vorstellung. Rocky sah jetzt aus, als ob er aus einer zerrütteten Familie stammte. Seine Lieblingsrolle. Auch die anderen Schulpferde beherrschten sie ganz ordentlich, aber keines so eindrucksvoll wie Rocky.
»Steck ihm bloß nichts zu, wenn der Chef zuguckt«, warnte Jule und griff zur Schaufel. »Du weißt, dass er Recht hat.«
Conny hob die Schultern. »Hast es ja gehört, Rocky«, sagte sie zu ihrem Lieblingspferd.
Rocky blieb einen Moment stehen. Dann begriff er, dass er bei dem Mädchen heute ausnahmsweise auf Granit biss.
Unwillig trottete der Traber weg, galoppierte dann plötzlich los und stürzte sich auf Nappo. Bevor der Haflinger sich in Sicherheit bringen konnte, hatte Rocky ihm schon in den Hals gebissen. Laut quiekend flüchtete der Fuchswallach zu den anderen Schulpferden. »Natürlich - der arme Nappo muss es wieder ausbaden«, seufzte Luisa, die vom Misthaufen zurückkam. »Na ja, jedenfalls müssen wir uns das nicht mehr lange mit ansehen. Sophie und Theresa lösen uns hier gleich ab.«
Gerade wollte Luisa die leere Schubkarre absetzen, als sich plötzlich etwas ereignete, was alles andere bedeutungslos machte.
Gellend drang der Schrei eines Mannes zu ihnen herüber. Fast gleichzeitig schrie auch Conny auf. Jule schlug sich entsetzt die Hände vors Gesicht. Wie vom
Donner gerührt, starrten die beiden Mädchen auf das Stallgebäude.
Luisa schnellte herum, denn sie hatte nicht mitbekommen, was passiert war.
»Ich hatte so eine Ahnung«, flüsterte Jule leichenblass. »Hoffentlich ist er auf die Strohballen gefallen.« »Komm, Luisa!« Conny zog ihre Freundin herum und alle drei stürmten über den Paddock zum Hof.
»Ich habe es genau gesehen«, keuchte Jule atemlos. »Das Fenster flog plötzlich auf - und da hat er das Gleichgewicht verloren.«
Als sie auf dem Hof ankamen, waren schon zwei Reitermädchen bei Herrn Jensen.
Der Verunglückte lag auf dem Rücken. Unter ihm fünf oder sechs Strohballen, einige waren durch den Aufprall zur Seite geschleudert worden. Sophie redete auf ihren Reitlehrer ein. Theresa schaffte die Leiter beiseite. Herr Jensen stöhnte leise. Auf den grauen Pflastersteinen breiteten sich Blutflecken aus.
Jule blieb stehen, als sie das sah. Ihr Herz hämmerte wie wild. In ihrem Kopf herrschte plötzlich eine große Leere. »Furchtbar«, war alles, was sie herausbrachte. Conny wusste auch nicht, was sie tun sollte. Wie gelähmt standen die beiden am Gatter.
Nur Luisa trat beherzt näher. Von allen Reitermädchen verstand sie am meisten von erster Hilfe, schließlich war ihre Oma Krankenschwester und hatte ihr viel beigebracht. Sophie rückte zur Seite.
»Können Sie sich bewegen?«, fragte Luisa. Das wollte Herr Jensen jedes Mal als Erstes wissen, wenn ein Reiter vom Pferd gefallen war.
Herr Jensen wollte den Kopf schütteln, stöhnte aber beim ersten Versuch auf.
»Nein«, sagte er mit schmerzverzerrtem Gesicht. »Unmöglich. Meine Schulter ... und das linke Bein...« »Wir holen sofort Hilfe«, sagte Luisa so ruhig wie möglich. Sie sah zu Jule hoch, die jetzt mit Conny näher gekommen war. »Los, hol den Humanmediziner.« Sie warf einen Blick auf die Uhr. »Kurz nach drei. Er müsste noch zu Hause sein. Die Praxis fängt doch erst um vier wieder an.«
Humanmediziner - das ist lateinisch und heißt »Menschenarzt«. So nannten die Mädchen den Mediziner Dr. Völker, einen absolut klasse Typ.
Jule nickte erleichtert. Bloß weg von diesem Ort. Schrecklich, jemanden leiden zu sehen und nicht helfen zu können. Sie wollte gerade loslaufen, da hörte sie die Stimme von Kai Jensen.
»Jule?« Und als sie sich umdrehte: »Das Stroh ... dein Aufprallschutz. Mensch, Mädchen - danke!«
»Och«, sagte Jule nur verlegen. Dann rannte sie hinauf zum Birkenweg. Trotz des Unfalls erfüllte sie ein unbeschreibliches Hochgefühl. Sie wusste - wahrscheinlich hatte sie Herrn Jensen das Leben
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