Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
vierzehnten März überbrachte ein Bote die Nachricht, Magdalena habe in den frühen Morgenstunden die Hebamme gerufen. Sofort machten der Meister, Cornelia und ich uns auf den Weg. Am Haus der Wöchnerin kündete eine rote, in Spitzen eingefasste Seidentafel von der Geburt eines Mädchens.
Bleich und erschöpft saß Magdalena in ihrem Bett, gestützt von zahlreichen Kissen. Um sie herum standen Kinder und Frauen jeden Alters, die sich im Flüsterton miteinander unterhielten. Es waren Nachbarinnen, die das Neugeborene begrüßen wollten.
Der Meister trat an das Kopfende des Bettes, beugte sich zu seiner Schwiegertochter hinunter und gab ihr einen Kuss auf das Haar, das sich in feinen hellen Locken bis auf die Schulter kringelte.
„Wie geht es dir, meine Tochter? Ging alles gut mit Gottes Hilfe?“
Magdalena nickte stumm, griff nach der Hand des Meisters und drückte sie, wobei ihr Tränen die Wangen hinunterliefen. Der Meister hob seinen Ärmel und wischte sich die Augen.
„Magdalena, ich gratuliere dir ganz herzlich. Hast du das Kind schon gesehen? Hat es die dunklen Haare von Titus?“ Cornelia umarmte ihre Schwägerin vorsichtig.
In diesem Moment kam die Hebamme mit blutbefleckter Schürze und aufgekrempelten Ärmeln in die Stube und hielt dem Meister ein weißes Leinenbündel entgegen.
„Hier ist Euer Enkelkind, Mijnheer. Nehmt es anstelle des Vaters. Möge ihm der Herr viel Glück bringen oder es beizeiten zu sich rufen.“
Sofort scharten sich die Frauen um den Meister, um einen Blick auf das Neugeborene zu werfen. Alle redeten aufgeregt durcheinander und bewunderten das feine Gesicht und die Ähnlichkeit der Kleinen mit der Mutter. Auch die Kinder drängten sich vor und reckten die Hälse.
Endlich gelang es mir, einen Blick auf das Bündel zu werfen. Ich hatte schon viele Neugeborene gesehen, meine jüngeren Geschwister und auch die Kinder unserer Nachbarn im Dorf. Aber dieses Mädchen war tatsächlich ungewöhnlich hübsch. Es hatte ein ebenmäßiges, rosiges Gesicht, eine winzige Nase und fein geschwungene Lippen, die sich nun mit einem Mal kräuselten und verzogen. Das Kind schrie so laut, wie ich es von diesem winzigen Wesen nie erwartet hätte.
Der Meister streichelte sachte die Wangen der Kleinen und wiegte sie in seinen Armen.
„Titia, meine kleine Titia“, flüsterte er heiser und drückte das Bündel vorsichtig an seine Brust.
„Kommt mit in die Küche, es gibt Zwieback und gebrannte Mandeln. Und jede Menge Schnaps!“, rief eine der Frauen, worauf sich die Stube rasch leerte.
Die Hebamme legte das Kind zu seiner Mutter ins Bett und machte uns ein Zeichen zu gehen. Magdalena winkte schwach, schloss die Augen und ließ sich in die Kissen zurücksinken.
Eine Woche später fand die Taufe statt. In der Nieuwe Zijds Kappel hatten sich festlich gekleidet Nachbarn und Bekannte von Magdalena versammelt. Magdalena, die immer noch blass und geschwächt wirkte, trug ihr Hochzeitskleid. Titia hatte man in ein prunkvolles weißes Taufkleid mit schwarzen Bändern gesteckt. Bei uns zu Hause bedeuteten solche Schleifen, dass eine Mutter bei der Geburt gestorben war. Doch in diesem Fall sollten sie an den Tod des Vaters erinnern.
Der Meister erschien mir geistesabwesend, seine Miene war wie versteinert. Welche Gedanken mochten wohl durch seinen Kopf gehen, als er das schreiende, winzige Wesen über das Taufbecken hielt. Dachte er an die Heirat seines Sohnes vor gut einem Jahr, als dieser mit Magdalena, seiner strahlenden Braut, hier vor dem Altar stand? Zusammen mit Magdalenas Mutter, der anderen Patin, sprach er ein Gebet, in dem er die Gnade Gottes für die kleine Waise Titia erflehte. Die Fürbitte der Paten erklang so eindringlich, dass allen Anwesenden die Tränen in den Augen standen.
Während die Gemeinde laut und inbrünstig zum Lob des Allmächtigen sang, konnte ich meinen Blick kaum von Cornelia wenden. Sie saß direkt vor mir, ihre klare, helle Stimme klang wie eine Glocke. Seit meiner Ankunft hatte sie sich verändert. Zwar hatte sie noch immer das Gesicht eines jungen Mädchens, doch ihr Körper war inzwischen der einer erwachsenen Frau.
Ich sah ihre hohe, gewölbte Stirn, die sanft nach oben gebogene Nase, das weiche Kinn und die dicken rötlichen Zöpfe, die unter der Haube hervorblitzten. Ihr Kleid war von einem dunklen Grün und passte wundervoll zu ihren Augen. Unter dem Mieder zeichneten sich sanft die Konturen ihrer Brust ab. Um die Taille hatte sie eine safranfarbene
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