Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
ein Löwe eingraviert war. Er griff in den Beutel, zählte mehrere Münzen ab und verabschiedete sich herzlich und in bester Laune.
Auf dem Heimweg summte der Meister leise vor sich hin. Kurz bevor wir die Rozengracht erreichten, drückte er mir den Dolch in die Hand und zwinkerte mir zu.
„Rebekka muss von dem Kauf ja nichts wissen. Was versteht dieses alte Weib schon von Inspiration? Versteck den Dolch unter deiner Jacke und geh gleich nach oben in die Dachkammer. Leg ihn in den Schrank zu den Medaillen und Muscheln, da ist er sicher. In all den Jahren hat Rebekka dort niemals sauber gemacht.“
Ich tat, wie der Meister mir aufgetragen hatte, und war stolz darauf, dass er so großes Vertrauen in mich setzte. Er konnte sich auf mich verlassen, meinen Meister würde ich niemals hintergehen.
Auch wenn weiterhin ungewiss war, wann mit der Ausführung an dem Porträt des Professors begonnen werden konnte, wollte der Meister nicht untätig bleiben. Er beschloss er, zumindest einige wichtige Vorbereitungen zu treffen.
Das Gruppenbildnis war einen großen Vorlesungssaal gedacht. Deswegen entschied er sich für ein Format, das die Personen in Lebensgröße zeigen sollte. Er suchte vier Stücke Leinen aus, die ich zu einem Ganzen zusammenfügte. Es war merkwürdig, aber noch nie zuvor hatte mir eine Näharbeit so viel Freude bereitet. Wie von selbst glitt die Nadel durch das derbe Gewebe, und schon am Abend war die riesige Leinwand fertig. Meine Wangen glühten vor Freude, als der Meister die Gleichmäßigkeit der Stiche und die sorgfältige Bügelarbeit lobte.
Wir spannten den Stoff in einen Keilrahmen und hoben das Bild mit vereinten Kräften auf eine Staffelei. Der Meister schwitzte und keuchte dabei, denn der Rahmen wog schwer. Anschließend trug ich die erste Schicht der weißgrauen Grundierung auf. Als diese trocken war, folgten zwei weitere Schichten, bis nichts mehr von den Fäden und Knoten des Tuches zu erkennen war. Jetzt wirkte die Oberfläche so glatt wie ein Spiegel. Alles war so weit vorbereitet, dass der Meister jederzeit mit dem Malen hätte beginnen können.
Zufrieden holte er seine Zeichenmappe hervor. Aus dem Gedächtnis heraus skizzierte er die Inhaberin des orientalischen Bazaars, wie sie ganz in sich versunken einen Messingkrug polierte. Wieder einmal war ich darüber verblüfft, wie es dem Meister gelang, mit nur wenigen Strichen den Charakter eines Menschen zu erfassen.
„Spar dir deine Bewunderung, Samuel. Mit den Jahren kommt einfach die handwerkliche Routine. Vorausgesetzt allerdings, ein Maler besitzt zwei Tugenden: Ausdauer und Geduld“, wehrte der Meister barsch ab. Gerade diese Tugenden wurden bei ihm in diesen Wochen auf eine harte Probe gestellt.
Durch die Geschicklichkeit meines Lehrers fühlte ich mich dazu angespornt, ebenfalls zum Kreidestift zu greifen. Doch ich wollte mich nicht auf meine Erinnerung verlassen, sondern lieber nach einer Vorlage zeichnen. Ich musste im Atelier nicht lange nach Motiven suchen und entschied mich für einen dunkelroten Samtvorhang und eine antike Marmorbüste. Beides ordnete ich auf einem Tisch an und begann mit der Arbeit.
Immer wieder skizzierte ich die Gegenstände, und bei jedem neuen Versuch hatte ich das Gefühl, dass meine Hand beweglicher wurde und mir die Darstellung besser gelang. Der Meister forderte mich auf, die Position der Dinge immer wieder ein wenig zu verändern und die Abweichungen sorgsam zu prüfen.
„Je genauer und länger man die Dinge, die man darstellen möchte, beobachtet, umso empfindsamer und empfänglicher wird das Auge.„ Er trat neben mich und begutachtete meine Skizzen mit kritischem Blick.
„Für einen Schüler im ersten Lehrjahr ist es dir nicht schlecht geraten. Aber denk daran, Samuel, du musst üben, viel üben, bis aus dir ein Meister wird. Auge und Hand sind die eigentlichen Werkzeuge des Malers. Und für die Malerei gilt, was für jedes andere Handwerk auch gilt: Je besser das Werkzeug, umso besser das Werk.“
März 1669
Die entscheidende Nachricht des Professors ließ auf sich warten. Nach Wochen stand die große, leere Leinwand immer noch unberührt auf der Staffelei. Der Meister nutzte die Zeit, um fast täglich seine Schwiegertochter Magdalena van Loo zu besuchen, die in einem Stadtviertel nahe am Hafen wohnte. Die Geburt ihres ersten Kindes stand unmittelbar bevor, und der Meister sollte Pate sein. Es schmerzte ihn sehr, dass sein Sohn Titus diesen Tag nicht miterleben sollte.
Am
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