Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
Vergangenheit so nah, dass meine Hand zitterte, wie damals, als ich in der Werkstatt des Meisters das erste Mal einen Pinsel hielt.
Zu jener Zeit, im März des Jahres 1669, konnte ich nicht ahnen, welches Verhängnis sich bereits ankündigte. Erst viel später sollte ich die wahren Zusammenhänge erkennen. Doch ich war siebzehn Jahre alt und ohne Argwohn. Selbst wenn ich mehr über das Leben gewusst hätte, wäre es mir dennoch nicht möglich gewesen, einen anderen Weg einzuschlagen, als den, den das Schicksal für mich vorbestimmt hatte.
Morgen, am Sonntag, will ich mich ausruhen und zusammen mit meinem Sohn, seiner Frau und deren Kindern in die Kirche gehen. Dort werde ich den Segen des Herrn erbitten, damit er mir die Kraft gibt, mit Aufrichtigkeit und ohne Beschönigung den weiteren Verlauf des Geschehens aufzuzeichnen.
ZWEITES HEFT
April 1669
Nahezu sämtliche Gegenstände, die sich im Atelier befanden, hatte ich inzwischen auf dem Papier festgehalten. Die Staffelei, das Regal mit den Farben, Tiegeln und Flaschen, die Gemälde aus der Kunstsammlung des Meisters, ebenso die Globen, Lanzen und Schilde. Ich begann mich zu langweilen. Und so setzte sich in meinem Kopf die Idee fest, dass ich nun nach einem lebenden Modell arbeiten müsste. Am liebsten hätte ich ein Bild von Cornelia gemalt. Doch ich wagte nicht, sie danach zu fragen. Ich befürchtete, sie könnte mich auslachen.
Einmal war ich alleine im Atelier und füllte Leinölreste in eine saubere Flasche um. Plötzlich spürte ich eine sanfte Berührung an meinem Bein. Paulintje hatte sich unbemerkt nach oben geschlichen und wollte offensichtlich gekrault werden. Während ich ihr seidiges Fell streichelte, fiel mein Blick auf eine alte Zeitung, die zusammengefaltet zwischen ein paar Farbtiegeln lag.
Ich riss eine Seite heraus, zerknüllte sie zu einer Kugel und ließ das Papier vor das Fenster rollen. Paulintje jagte hinterher, stieß mit der Pfote dagegen und wälzte sich, das Zeitungsknäuel zwischen den Vorderpfoten, auf dem Boden. Da warf ich rasch einige weitere Papierkugeln hinterher und holte rasch einen Skizzenblock.
Nach einer Weile wurde die Katze meiner Neckerei überdrüssig. Doch da hatte ich schon eine Skizze von Paulintje fertig, wie sie mit hoch erhobenem Schwanz und allen vier Pfoten gleichzeitig in der Luft auf ihr neues Spielzeug zusprang. Links daneben fügte ich einen Rocksaum hinzu. Die bestickte Borte wies dasselbe Muster auf, wie bei Cornelias Kleid, das sie zur Taufe ihrer Nichte Titia getragen hatte.
Am Sonntag, nach dem Kirchgang, überreichte ich Cornelia meine kleine Zeichnung. Mein Herz klopfte, denn ich war mir nicht sicher, ob ihr meine Skizze überhaupt gefallen würde. Doch ihre Augen glänzten vor Freude.
„Großartig, Samuel, man erkennt sofort, dass es Paulintje ist. Ich habe gar nicht gewusst, dass du schon so gut zeichnen kannst.“
Cornelia zögerte kurz, dann kam sie auf mich zu und umarmte mich ungestüm. Das kam für mich so unerwartet, dass ich das Gleichgewicht verlor und ins Stolpern geriet. Glücklicherweise stand hinter mir ein Schemel, auf den ich unsanft zu sitzen kam. Es musste ziemlich komisch ausgesehen haben, denn Cornelia begann zu lachen und konnte gar nicht mehr damit aufhören. Schließlich lachte ich mit, aber innerlich ärgerte ich mich wegen meiner Tollpatschigkeit. Noch Stunden später meinte ich, den sanften Druck ihrer Arme auf meinen Schultern zu spüren und den Veilchenduft ihres Haars in meiner Nase.
Endlich hatte der Meister die Arbeit an seinem Selbstporträt fortgesetzt, die er seit seiner Erkrankung mehrmals unterbrochen hatte. Die Phasen des Zweifels, des Zorns und der Mutlosigkeit, die er durchlebt hatte, spiegelten sich in seinem Bildnis nicht wider. Es zeigte einen weisen, in sich ruhenden alten Mann. Die Gelassenheit und Friedfertigkeit des Porträts straften seine äußere Unruhe Lügen. 12
Der Meister signierte das Porträt und überzog es mit einer Schicht ockerfarbenem Firnis. Weil nun aber wirklich keine Aufgabe mehr auf ihn wartete, verfiel er wieder in Schwermut. Cornelia und Rebekka gingen ihm aus dem Weg, um ihn nicht durch eine irgendeine leichtfertige Äußerung zu reizen. Häufig genug kam es vor, dass er aus nichtigem Anlass aufbrausend wurde und brüllend aus dem Haus lief.
Mit jedem Tag wuchs meine Enttäuschung. Der Meister war nicht in der Verfassung, mir die morgendlichen Unterrichtsstunden zu erteilen. Zwar hatte ich Mitleid mit diesem großartigen
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