Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
bin, der sich der modernsten Praktiken bedient.“
Der Meister hatte sich auf dem Stuhl am Fenster niedergelassen. Er begann, den Medicus zu zeichnen, wie er während seiner Ausführungen im Zimmer auf und ab schritt. Mit einer bedeutungsvollen Geste hob der Professor die Hand.
„Ich werde Bahn brechenden Ergebnisse meiner neuesten Forschungen der Öffentlichkeit vorstellen, sobald ein geeigneter Leichnam verfügbar ist. Und Ihr sollt Zeuge sein. Ihr werdet mich hoffentlich ins rechte Licht zu setzen wissen, mein lieber Rembrandt.“
Die Mundwinkel des Meisters zuckten. Ganz unverkennbar hatte er Mühe, sich zu beherrschen.
Während die Hand des Meisters ungestüm über das Papier jagte, ging plötzlich die Tür zum Studierzimmer auf. Ein Mädchen, das etwa fünf Jahre alt sein mochte, lief auf den Professor zu und reckte ihm seine Arme entgegen. Zwei Jungen, nur wenig älter als das Mädchen, folgten ihr nach. Sie trugen schwarze Seidenanzüge und waren wie kleine Erwachsene gekleidet.
„Quentin, Lucas, Janneke, wo kommt ihr denn her?“
Der Professor nahm das Mädchen auf den Arm und strich den Jungen über das Haar.
„Wir waren mit Lysbeth auf dem Fischmarkt. Aber sie wollte nicht mit uns in die Gilde kommen. Sie meinte, wir würden dich stören. Da sind wir einfach weggelaufen. Wir wollen dir guten Tag sagen“, sagte die Kleine und zupfte den Professor am Bart. Der lachte, hielt das Mädchen mit beiden Armen hoch und warf es schwungvoll in die Luft.
„Ich auch, ich will auch fliegen“, riefen die beiden anderen, und der Professor wiederholte die Prozedur mit ihnen.
„Sagt Lysbeth, dass ihr mich jederzeit besuchen dürft, wenn euch danach zumute ist.“
„Wann kommst du heute nach Hause, Vater?“, fragte der größere der beiden Jungen. „Gestern haben wir dich den ganzen Tag nicht gesehen und vorgestern auch nicht. Mutter will immer, dass wir pünktlich im Bett sind.“
„Kinder, ihr wisst doch, dass ich ein wichtiges Werk schreibe. Aber heute Abend werde ich ganz bestimmt rechtzeitig zurück sein und euch eine lange Geschichte vorlesen. Versprochen.“
In diesem Moment klopfte es zaghaft an der Tür. Eine junge Frau mit geröteten Wangen trat ein, ganz außer Atem. Einige helle Strähnen hatten sich unter der Haube gelöst und hingen ihr auf die Schulter herab.
„Gut, dass ich euch endlich gefunden habe“, rief sie erleichtert aus, als sie die Kinder sah. Dann senkte sie den Kopf. „Verzeiht, Mijnheer, ich hätte besser aufpassen sollen. Doch die drei liefen plötzlich los, jeder in eine andere Richtung. Ich wusste nicht, wem ich zuerst folgen sollte.“
Der Professor zwinkerte seinen Kindern zu und legte beschwichtigend die Hand auf den Arm der jungen Frau.
„Ich mache dir keinen Vorwurf, Lysbeth. Die drei hatten Sehnsucht nach mir. Leider sehen sie mich viel zu selten.“
Die Frau blickte den Medicus erleichtert an und machte einen Knicks.
„Aber jetzt müsst ihr wieder gehen. Ein berühmter Maler will, dass ich ihm Modell sitze, damit er ein schönes Bild von mir malen kann.“ Der Professor deutete mit der Hand auf den Meister, der auch nach dem Kommen der Kinder fortwährend gezeichnet hatte.
„Oh, wie schade. Ich habe Hunger, Vater, darf ich eine Waffel haben?“, fragte die Kleine, und die Jungen schrieen durcheinander, wobei sie versuchten, sich gegenseitig an Lautstärke zu übertreffen.
„Nun gut, ihr drei. Lysbeth soll für jeden von euch eine Waffel mit Sirup kaufen. Aber ihr müsst mir versprechen, dass ihr heute Mittag auch euren Hutsepot aufesst.“
Fröhlich hüpften die Kinder zur Tür. Der Professor schickte ihnen ein mildes Lächeln hinterher. Es war dasselbe Lächeln, das ich so oft bei meinem Vater gesehen hatte, wenn wir alle zusammen am Tisch saßen und vor dem Essen das Dankgebet sprachen.
Der Meister war noch immer ganz in seine Arbeit vertieft. In seiner Körperhaltung, leicht vornüber gebeugt auf dem Stuhl, das Zeichenheft auf den Knien, lag etwas sehr Natürliches. Als sei er einzig und allein dazu geschaffen, die Welt um sich herum auf einem Bogen Papier festzuhalten. Dann klappte er das Skizzenheft zu und erhob sich.
„Nun habe ich alles notiert, was für die Darstellung Eurer Person und der Eurer Assistenten nötig ist. Es wird somit Zeit, dass ich die Leinwand hervorhole und mit der Arbeit im Atelier beginne.“
„Habt noch eine Weile Geduld, lieber Meister, jedenfalls solange, bis ich die Sektion durchgeführt habe. Jede Einzelheit im
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