Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
Bild soll voll und ganz der Wahrheit gemäß abgebildet werden.“
Während ich die Zeichenmappe und die Stifte zusammenpackte, ging der Professor zu seinem Schreibtisch, öffnete eine Schublade und holte einen Beutel aus azuritblauem Samt hervor.
„Ich möchte Euch einstweilen einen Vorschuss übergeben. Er ist, so denke ich, freizügig bemessen und entspricht der besonderen Bedeutung dieses Auftrages. Sollten alle Voraussetzungen für meine Vorlesung erfüllt sein, werdet Ihr unverzüglich von mir hören.“
Erst als wir den Sint Anthonis Markt hinter uns gelassen hatten, blieb der Meister stehen und öffnete gespannt den Beutel. Er atmete tief ein und wieder aus, und ein Lächeln breitete sich aus seinem Gesicht aus. Eine Weile stand er da, ganz in Gedanken versunken, nur seine Finger spielten mit den Münzen.
Hinter uns war ein leises Wimmern zu hören. Eine in Lumpen gehüllte Frau hockte vor dem Eingang eines Hauses. Sie schaukelte mit dem Oberkörper vor und zurück und hielt ihre Hand zitternd ausgestreckt. Ich fragte mich, welches Schicksal die Ärmste wohl zu dem gemacht hatte, was sie war. Mir kamen einige Radierungen des Meisters in den Sinn. Schon häufig hatte er Landstreicher und Bettelvolk gezeichnet. Er hatte ihnen dieselbe Würde gegeben, mit der er auch Kaufleute und andere reiche Auftraggeber ausstattete. Vor vielen Jahren hatte er sich sogar selbst einmal als einen erbarmenswerten Bettler 11 dargestellt. An dieses Bild konnte ich mich wegen seiner Ausdruckskraft und Demut besonders gut erinnern.
Der Meister beugte sich zu der Frau hinunter und gab ihr eine goldene Münze. Als sie erkannt hatte, was sie da plötzlich in der Hand hielt, fasste sie nach dem Mantel des Meisters und küsste wimmernd den Saum.
„Danke, Mijnheer, danke vielmals. Möge der Herr Eure Güte hundertfach vergelten.“
Mit einem Mal hatte es der Meister eilig fortzukommen. Doch diesmal ging er nicht, wie sonst üblich, hinter dem Klovenierswal nach rechts in die Oude Hoogstraat, sondern stattdessen nach links in die Nieuwe Hoogstraat. Über einer Ladentür hing ein Schild mit der Aufschrift „Orientalischantiquarischer Bazaar“. Drinnen war eine Frau in einem krapproten Brokatkostüm und goldbestickten Pantoffeln gerade damit beschäftigt, einen Messingkrug zu polieren.
„Willkommen, Mijnheer van Rijn. Oh, wie ich sehe, seid Ihr heute nicht allein gekommen.“
Der Meister machte uns miteinander bekannt.
„Guten Tag, Mevrouw Tavakoli, wir haben uns lange nicht gesehen. Wie geht es Euch und Eurem Mann? Ist er wieder auf Reisen?“
„Ihr vermutet richtig, Mijnheer, mein Mann ist seit Monaten in seiner Heimatstadt, in Täbris. Wenn die Geschäfte gut gehen, wird er in wenigen Wochen wieder zurück sein.“
Ich konnte sehen, wie sich die freudige Erwartung im Gesicht des Meisters in Resignation verwandelte.
„So lange werde ich mich also noch gedulden müssen… Doch vielleicht könnt auch Ihr mir helfen. Euer Mann hat mir vor einiger Zeit einen Dolch gezeigt. Ein sehr schön gearbeitetes Stück. Es stammt aus dem Besitz von Schah Abbas dem Großen aus Isfahan, wie er mir sagte. Wisst Ihr zufällig, ob der Dolch noch zu verkaufen ist?“
„Meint Ihr den mit dem Ledergriff und den Türkisen? Ich bin mir nicht sicher, ob er noch da ist, aber ich will gerne einmal nachsehen.“
Die Frau ging zu einer Truhe und prüfte den Inhalt. Als sie dort nichts fand, öffnete sie nacheinander zwei Schränke. Auch hier konnte sie das Gewünschte nicht entdecken. Der Meister schüttelte bekümmert den Kopf und wandte sich mit einem leisen Seufzen zum Gehen.
„Einen Augenblick noch, Mijnheer. Ich weiß, dass mein Mann einige besonders wertvolle Stücke in seinem Kontor lagert. Seht Euch unterdessen in aller Ruhe im Geschäft um. Vielleicht findet Ihr etwas, das Euch für Eure Malerei von Nutzen sein könnte“, bemerkte die Frau mit einem feinen Lächeln und verschwand in einem Nebenzimmer.
Nervös trat der Meister von einem Bein auf das andere und starrte auf die Tür. Nichts von den farbenprächtigen Teppichen, den silbernen Kannen, fein getriebenen Schalen oder Samowaren konnte sein Interesse erwecken. Er zog die Brauen zusammen und kaute auf der Unterlippe.
Nach einigen Minuten kam die Frau des Inhabers zurück und legte etwas Glänzendes auf die Theke. Ich sah, wie die Augen des Meisters aufleuchteten, als er den Dolch behutsam in die Hand nahm. Zärtlich strichen seine kräftigen Finger über die Klinge, auf der
Weitere Kostenlose Bücher