Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug
zerzaust. Sie ging mit forschen Schritten, ab und zu wich sie vor entgegenkommenden Fußgängern auf die Fahrbahn aus.
Wegen eines Geldtransporters vor einer Bank stand der Verkehr in der Rue d'Antibes, und die verärgerten Autofahrer drückten auf die Hupe. Eine Gruppe amerikanischer Touristen, die einen Schaufensterbummel machte, versperrte Béa auf dem schmalen Bürgersteig den Weg. Wieder war sie mit einem Satz auf der Straße und wäre um ein Haar vor eine Vespa geraten, die sich an den stehenden Autos vorbeischlängelte. Die Fahrerin der Vespa, eine Frau im Nadelstreifenkostüm, konnte gerade noch rechtzeitig ausweichen und fluchte unflätig. Béa begnügte sich mit einem nonchalanten Winken und trat wieder auf den Bürgersteig.
Der Mann, der ihr folgte, beschleunigte seine Schritte, als Béa in die Rue des Etats-Unis in Richtung Ufer abbog. Sie überquerte den Boulevard de la Croisette, die Flaniermeile von Cannes, bei Rot und ging in den Palmenpark. Vom glitzernden Mittelmeer wehte ein warmer Wind. Sie ging weiter bis zum Festivalpalast, vor dem ein etwa dreißigjähriger Mann gelbe Flugblätter verteilte. Keiner der Einheimischen nahm von ihm Notiz, aber ein Touristenpaar blieb stehen und ließ sich einen Zettel geben.
Béa grüßte den Flugblattverteiler, machte ihre geflochtene Tasche auf und entnahm ihr einen weiteren Stoß gelber Zettel, den sie dem Mann überreichte. Dann setzte sie sogleich ihren Weg zurück in Richtung Croisette fort. Ihr Verfolger musste einige Laufschritte einlegen, um sie in dem lebhaften Verkehr nicht aus den Augen zu verlieren. Béa überquerte die Straße, obwohl die Ampel für Fußgänger Rot zeigte. Der Verfolger musste stehen bleiben, weil ein doppel-stöckiger deutscher Reisebus vor seiner Nase vorbeirollte. Während ihm der Bus die Sicht versperrte, hörte der Mann, dass jenseits des großen Gefährts gehupt und fast gleichzeitig gebremst wurde. Als der Bus vorüber war, sah man mitten auf der Straße einen Mann in Arbeitskluft aus einem Lastwagen springen. Vor dem Lkw lag Béa auf dem Asphalt. Der pockennarbige Verfolger rannte zu ihr und fühlte ihr den Puls. Sie war bewusstlos, aber am Leben. Ein Knie war unnatürlich verdreht und blutete stark. Ringsum waren Leute stehen geblieben. Einige mussten den Blick von der Blutlache auf der Straße abwenden. Bedrückt verließ Christian das Flugzeug und ging durch die Gangway ins Terminal des Frankfurter Flughafens. Noch in der Maschine, direkt nach der Landung, hatte er Brian angerufen und von diesem den aktuellen Stand der Dinge erfahren: Es gab keine Neuigkeiten.
Er blieb vor dem Monitor mit den ankommenden Flügen stehen. In einer Zeile stand: RG213 - VERSPÄTUNG.
Dieses Wort gab ihm Hoffnung. Verspätung.
Genau. Die Maschine hatte Probleme, sie würde verspätet eintreffen.
Er ging weiter in die Ankunftshalle hinein und schaute sich unsicher um. Seinem Selbstbetrug wurde in dem Moment die Maske heruntergerissen, als er im Wartebereich der Abholer drei Menschen sah, die sich krampfhaft umarmt hielten, ohne zu weinen. Ein Kloß bildete sich in seinem Hals.
Sein Handy klingelte. Auf dem Display stand: »Unbekannter Teilnehmer«. »Florian hier. Scheiße, Mann ... Ich hab gehört, du heiratest.«
»Morgen. Um zwei.«
»Und bist nicht auf die Idee gekommen, mich einzuladen? Aber was hat ein stinknormaler Arzt auch auf der Hochzeit eines berühmten Wissenschaftlers zu suchen.«
»Es wird keine Hochzeitsfeier geben. Nur eine kleine Trauungszeremonie.« »Du klingst gestresst. Du bist doch nicht etwa ...«
»Ich hab jetzt keine Zeit, wir telefonieren später.«
»Ich hätte nie geglaubt, dass daraus was wird. Du und Sara, ihr seid doch wie Feuer und Wasser.«
»Es ist nicht Sara.«
»Wie bitte?«
Christian pumpte alle Kraft in seine Stimme. »Die glückliche Braut heißt Tina Carabella.« »Was? Und Sara?«
»Ich muss aufhören. Wir telefonieren«, sagte Christian grob und erschrak, als er zwei Kamerateams sah, die aufgeregt mit einem Flughafenangestellten verhandelten. Er ging weiter und bemerkte eine Gruppe Menschen, denen man deutlich ansah, dass sie inständig auf ein Flugzeug warteten, das nicht kommen würde - oder wenigstens auf irgendwelche Informationen über dieses Flugzeug.
Christian holte tief Luft und ging zu ihnen.
In der Küche eines heruntergekommenen Hauses im Nordteil von Cannes schnitt eine grauhaarige Frau mit dem Brotmesser Zucchini in Scheiben und hörte zu, was im Radio gesagt
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