Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug
immer war unklar, ob die Maschine zerschellt war oder ob es dem Piloten gelungen war, eine Notlandung vorzunehmen. Brian setzte den Blinker und wechselte auf die Überholspur. Christian hatte beschlossen, seine Reise nach Frankfurt vorzuverlegen, was bei IC-Pharma passierte, war ihm inzwischen vollkommen gleichgültig. Er würde knapp den Air-France-Flug erreichen, für den er über Brians Computer ein Ticket gebucht hatte.
Er rief seine Eltern an. Sein Vater meldete sich.
»Habt ihr die Nachrichten gehört?«, fragte Christian mit belegter Stimme. » Wieso ?«
»Ein Flugzeug, das von hier nach Frankfurt unterwegs war, ist verschwunden. Tina ist in der Maschine.«
Am anderen Ende war es still. Im Hintergrund hörte man gedämpft das Rauschen der WC-Spülung.
»Wo ...wo bist du?«
Christian hörte aus der Stimme seines Vaters den tapferen Versuch heraus, seine Bestürzung zu verbergen.
»Auf dem Weg zum Flughafen, ich fliege nach Frankfurt. Die Maschine startet bald. Schaltet den Fernseher an...«
Christian beendete das Gespräch und biss die Zähne zusammen. Angesichts der bedrückenden Situation war der Konflikt zwischen Vater und Sohn in den Hintergrund gerückt. Auf einmal kam ihm sein Vater wieder wie der Vater von damals vor, als er, Christian, noch ein kleiner Junge gewesen war.
Er fragte sich, woher dessen unbegreifliche Ablehnung gegenüber Tina rührte. Hatte es etwas damit zu tun, dass er sich so gut mit Sara verstanden hatte? Sein Vater war ein urdeutscher Griesgram, der nur langsam mit anderen Menschen warm wurde, aber mit Sara hatte er schließlich eine gemeinsame Wellenlänge gefunden. Finnen und Deutsche hatten vieles gemeinsam. Ein Grund für seine Vorbehalte gegen Tina konnte darin bestehen, dass sie Amerikanerin war. Als Ingenieur sprach er zwar ein bisschen Englisch, aber die Hemmschwelle war hoch. Der wahre Grund musste jedoch woanders liegen, zumal Tina Christians Eltern bislang nur ein einziges Mal begegnet war, im Juli, bei ihrem gemeinsamen Besuch in Deutschland.
Brian drosselte das Tempo und bog zum Flughafen ab. Aus dem Radio kam eine Mitteilung, die Christian schlagartig wieder aufmerksam machte.
»Nach Informationen, die uns gerade eben erreicht haben...«
Christian drehte die Lautstärke höher.
»... ist eine Radarbeobachtung von der verschwundenen Maschine gemacht worden ...«
Ein gewaltiges Gefühl der Erleichterung durchfuhr ihn.
»...und zwar im nördlichen Teil der Adria, vor der kroatischen Küste. Wie es heißt, sei die Maschine so tief gesunken, dass sie sich unterhalb des Radarfeldes befunden habe, dann aber wieder gestiegen. Sie habe sich instabil auf-und abwärts bewegt und sei schließlich erneut verschwunden...«
»Warum benimmt sich ein Flugzeug so?«, wunderte sich Christian.
»Wegen einer technischen Störung, vermutlich.« Brian klang unsicher. Kurz vor dem Terminal bremste er ab und sah auf die Uhr.
»Aber warum haben die Piloten dann keinen Kontakt zur Flugleitung aufgenommen? Womöglich ist die Maschine entführt worden.«
»Hauptsache, sie ist nicht abgestürzt.«
Brian setzte Christian so nah wie möglich am Eingang ab, und dieser rannte sofort zu den Check-in-Schaltern. Diesmal dachte er nicht einmal an seine Flugangst. Vor dem Haus von Kurt Coblentz in der Wellington Road in Rockville hielt ein dunkelgrüner Chrysler. Ein breitschultriger Mann mit aufrechter Haltung stieg aus und betrat mit einer Reisetasche in der Hand das Haus.
Er ging ins Schlafzimmer hinauf, schaute auf die Liste, die er dabeihatte, und packte Kleider und ein paar persönliche Dinge von Coblentz in die mitgebrachte Reisetasche. Anschließend schloss er sorgfältig die Haustür ab und ging zur Tür des Nachbarhauses, die sogleich geöffnet wurde.
»Guten Morgen. Ich bin ein Kollege von Kurt, er hat sicherlich schon bei Ihnen angerufen und gesagt, dass ich komme.«
»Bei uns ist alles in Ordnung, nicht wahr, Martha?«, sagte die Frau irritiert. Sie hielt Coblentz' Tochter auf dem Arm. »Kurt musste plötzlich zur Arbeit...«
»Seine Frau ist schon auf dem Weg hierher. Ich wollte nur sehen, ob Sie klarkommen.« »Bestens. Oder?«
Das Mädchen lächelte und nickte. Der Mann lächelte zurück und ging mit der Tasche in der Hand zum Wagen. Brennend vor Neugier schaute ihm die Nachbarin nach.
8
Der pockennarbige Mann folgte zielstrebig der jungen Frau im Menschengewimmel der Innenstadt von Cannes. Béa trug sandfarbene Hosen und eine geflochtene Tasche. Ihre Haare waren
Weitere Kostenlose Bücher