Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug
Notärztin und stieg zu dem Patienten in den Krankenwagen.
»Statistisch gesehen ist es wahrscheinlicher, dass er auf Latex reagiert als auf Chlorhexidin.«
»Zerbrechen Sie sich meinetwegen den Kopf über Statistiken, ich werde mich jetzt um den Patienten kümmern«, erwiderte die Frau und nahm das Blutdruckmessgerät aus der Halterung.
»Ich gehe bei meinen Probanden nicht das geringste Risiko ein. Bitte wechseln Sie die Handschuhe.«
Brian kam mit einer Packung Vinylhandschuhe zurück. Christian hielt sie der Ärztin hin, sie musterte ihn finster und griff widerwillig nach der Packung.
»Mit wem habe ich die Ehre?«, fragte Christian. »Und wie kann ich Sie erreichen?« »Die Nummer steht an der Tür«, sagte die Frau kurz angebunden.
Der Fahrer machte die Wagentür zu, und Christian merkte, dass er die aufgemalte Telefonnummer anstarrte, die sich nun mit dem Krankenwagen entfernte. »Schreib die Nummer auf«, sagte er zu Brian, der sogleich nach einem Stift in seiner Tasche tastete, während Christian ins Gebäude zurückging.
Kurz darauf holte ihn Brian auf dem Gang ein. »Ich habe die Nummer nicht komplett aufschreiben können ...«
»726 4041«,sagte Christian, ohne die Schritte zu verlangsamen.
Er ging in sein Büro, warf die Tür hinter sich zu und ließ sich mit zitternden Muskeln auf die Couch fallen. Er kniff die Augen zu und sah vor sich eine Bushaltestelle in Heidelberg. Sie war voller Blut. Christian atmete tief durch, um die Erinnerung zurückzudrängen, und stand auf. Aus der untersten Schreibtischschublade nahm er eine Schachtel mit Büroklammern heraus, tastete darin nach einer Tablette und schluckte sie ohne Wasser.
Ein Geiger pflegt und stimmt sein Instrument, damit es so klingt, wie er es will. Christians Instrument war das Gehirn. Ein dunkler Fleck in den verborgenen Tiefen von Neuronen und Synapsen glich der verstimmten Saite einer Violine. Beides musste in Ordnung gebracht werden.
Christian sah auf die Uhr und beschloss, eine verlängerte Mittagspause einzulegen. Er wollte so schnell wie möglich bei Tina sein.
2
Vom üppigen Grün reflektiertes Licht flutete in das hohe Zimmer des alten Hauses, das gerade renoviert wurde.
Christian stieß die Fensterläden ganz auf und blickte in den verwilderten Garten, der ihn endgültig davon überzeugt hatte, das Haus zu kaufen. Eigentlich war Mougins, ein kleines Städtchen unweit von Cannes, eine viel zu teure Gegend, aber für Reue war es jetzt zu spät.
Tina kam mit einem Tablett aus der Küche.
»Ihr Dessert, Doktor Brück«, sagte sie und küsste Christian auf die Wange. »Möchten Sie, dass Ihnen das Mittagessen von nun an immer so serviert wird?«
»Du brauchst gar nicht erst zu versuchen, mich zu besänftigen.« Mürrisch fing Christian an, sein Eis zu löffeln.
Tina nahm ihm gegenüber Platz. »Es tut mir leid.«
»Ich verstehe einfach nicht, warum du schon morgen fliegen musst. Zwei Tage vor der Hochzeit. Kann der Galerist nicht...«
»Er fährt für drei Wochen nach Chile. Du willst doch nicht im Ernst, dass ich diese Chance aufs Spiel setze?«
»Natürlich nicht. Ich möchte bloß keinen einzigen Tag von dir getrennt sein.« In Tinas Augen lag ein seltsam trauriger Blick, der durch die leichten dunklen Grübchen unter den Augen noch betont wurde. An den Augenwinkeln waren winzige Fältchen zu sehen, aber sonst deutete nichts auf ihr Alter hin. Sie hätte ebenso gut einundzwanzig oder einunddreißig sein können. Vom Aussehen her konnte man sie für eine Italienerin halten, doch wenn sie sprach, verriet sie ihr amerikanischer Akzent. Christian nahm ihre Hand. »Weißt du«, flüsterte er. »Du machst mich verrückt. Seit dem Tag, an dem ich dich zum ersten Mal gesehen habe, bin ich verrückt nach dir. Ich hätte nie geglaubt, dass mir so etwas passieren könnte.«
»Hab ein bisschen Geduld«, sagte Tina und stand auf. »Nur zwei Tage, dann gehöre ich für immer dir.«
Christian schaute zu, wie sie in ihrem dünnen, mädchenhaften Kleid das Zimmer verließ.
Tina betrat das Schlafzimmer und blickte aus dem offenen Fenster und durch blühende Ranken hindurch auf die Reihe der Birnbäume, über denen sich ein klarer blauer Himmel wölbte. Sie ließ ihr Gesicht von den Sonnenstrahlen liebkosen, dann richtete sie den Blick auf das Brautkleid, das zusammengefaltet auf der Kommode lag. Im selben Moment zog sie ihr Sommerkleid aus und warf es aufs Bett. Sie nahm das Brautkleid, hielt es vor ihren nackten Körper, trat vor den
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