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Remes; Ilkka - 5 - Höllensturz

Remes; Ilkka - 5 - Höllensturz

Titel: Remes; Ilkka - 5 - Höllensturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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hier herum?«
    »Nix Besonderes … Ich war halt neugierig … Ich wohn gleich da drüben …« »Name?«
    »Kohonen, Launo.«
7
    In der klaren, kaltblauen Morgendämmerung erstreckte sich der Wald so weit das Auge reichte. Auf den Kiefern und Fichten lag ein frischer, blütenweißer Schleier aus Schnee. Über Nacht war der Neuschnee auf der Straße gefroren, die daher jetzt schwarze, graue und weiße Farbtöne in allen Nuancen zeigte.
    »Es ist 7.56 Uhr, bald Zeit für die Nachrichten in Radio Nordost. Zuvor aber noch ein bisschen Musik …«
    Kriminalkommissarin Johanna Vahtera saß in ihrer abgewetzten Wachsjacke im Auto und blickte durch die Windschutzscheibe auf die endlos wirkende Wildnis. Sie nahm die Puderdose aus ihrer Handtasche, ließ sie aufspringen und betrachtete mit dem Spiegel ihr linkes Auge. Es war gerötet und juckte. Darum hatte sie sich auch nicht geschminkt.
    In der Landschaft rührte sich nichts. Der Anblick war wie auf einem Foto oder auf einer Kohlezeichnung. Das totale Gegenteil zum Verkehr in Helsinki, 700 Kilometer weiter südlich, den sie in aller Frühe hinter sich gelassen hatte, als sie mit dem Taxi zum Flughafen fuhr.
    Die Atmosphäre der Umgebung wurde auch durch den Fahrer des Wagens vermittelt. Es war Ari Kekkonen von der Zentralkripo. Er hatte Johanna in Oulu am Flughafen abgeholt und ihr die Hintergründe der Ereignisse des Vortages und der vergangenen Nacht mitgeteilt. Früher war der Mann zwei Jahre Polizist in Pudasjärvi gewesen.
    »Kein Wunder, dass in Pudasjärvi Aufregung herrscht«, sagte der pockennarbige, etwa fünfzigjährige Kekkonen ruhig. »Es kursieren ziemlich wilde Gerüchte. Sowohl Yli-Honkila als auch Salmi waren aktive Laestadianerinnen.«
    Johanna versuchte aus Kekkonens Tonfall dessen Einstellung zu der pietistischen Glaubensgemeinschaft herauszuhören, aber es gelang ihr nicht.
    »Gibt es irgendetwas, weshalb sich die Morde mit religiösen Dingen in Verbindung bringen ließen?«, wollte Johanna wissen.
    »Ich glaube nicht.«
    »Dass die beiden zu den Laestadianern gehörten, hast du besonders hervorgehoben.«
    »War keine Absicht.«
    Kekkonen sprach jetzt so betont einsilbig, dass Johanna zu dem Schluss kam, es könne doch Berührungspunkte zwischen dem Mann und dem Glauben geben. In Gegenden wie dieser stand wohl jeder irgendwie in Beziehung zur Laestadianerbewegung. Johannas eigener Glaube war »der normale Glaube eines ganz normalen Menschen«, er beruhte auf den Abendgebeten, die sie als Kind gelernt hatte, auf dem »Vaterunser« und einigen anderen Bausteinen. Sie mied alles öffentlich Religiöse, aber sie hatte immerhin das Buch ›Alle kommen in den Himmel‹ von einem Pastor namens Antti Kylliäinen gelesen.
    Aus der Ablage in der Mittelkonsole nahm Johanna die Plastikhülle mit den auf A4-Format vergrößerten Digitalaufnahmen der Spurensicherung. Im Radio sang ein junger Mann.
    »Ich sehe dein Gesicht, deinen zarten Mund …«
    Die vom Blitzlicht grell erleuchtete, blutüberströmte Leiche lag an der Wand einer Scheune im Schnee.
    Erja Yli-Honkila. Die Schusswunde in der Stirn verriet die Todesursache. Weitere äußere Verletzungen waren nicht zu erkennen, abgesehen von einem leichten Hämatom um das linke Auge.
    Auch Anne-Kristiina Salmi hatte man in den Kopf geschossen.
    »Ich kenne keine Sehnsucht mehr … Ich kenne keine Sehnsucht mehr …«
    Johanna warf einen Blick in ihr Notizbuch, in das sie die wichtigsten Einzelheiten über die beiden Toten geschrieben hatte. Erja Yli-Honkila, die zuerst aufgefunden wurde, war eine dreißig Jahre alte Grundschullehrerin gewesen. Unverheiratet, allein lebend.
    Vier Jahre jünger als ich, aber in der gleichen Lage, dachte Johanna.
    Yli-Honkilas Freundin Anne-Kristiina Salmi hatte in Helsinki an der Sibelius-Akademie studiert. Sie wollte Kantorin werden und war nur zu Besuch in ihrer Heimat gewesen.
    Johanna rieb sich das juckende Auge und sah wieder auf die weite Waldlandschaft. Irgendwo hier gab es einen Menschen, der eiskalt zwei Frauen erschossen hatte. Saß er gerade in seiner Küche und trank Kaffee und hörte denselben Radiosender? Radio Nordost? Oder war er auf dem Weg zur Arbeit?
    Johanna taufte den Täter auf den Namen »Ratte«. Sie wusste nicht, wie sie gerade darauf kam, aber er klang passend. Es war eine Angewohnheit von ihr, den Täter gleich zu Beginn der Ermittlungen zu benennen, ein Wort zu kreieren, hinter dem nach und nach aus kleinen Informationskörnern ein Mensch aus Fleisch und Blut

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