Remes; Ilkka - 5 - Höllensturz
Single-Frauen aber hatten dort einfach »anständige« Männer kennen lernen wollen, wie Karri im Nachhinein erfahren hatte.
Sein Blick fiel auf die Ausgabe der Zeitschrift ›Technik & Wirtschaft‹, in der er am Morgen an Saaras Tisch gelesen hatte. Er drehte die Zeitschrift um, sodass der runde Abdruck sichtbar wurde, den die Teetasse hinterlassen hatte.
Wieso hatte die Zeitschrift andersherum gelegen? Wie war das möglich? Er hatte sie nicht angefasst, nachdem er den Raum mit der Tasse in der Hand verlassen hatte.
Oder doch? Ohne dass es ihm bewusst war? Vielleicht.
Hartnäckig drängte sich ihm wieder die Behauptung des Computerprogramms in den Sinn, jemand habe es am Freitag benutzt.
Außerdem fielen ihm die schneefreien Fliesen vor der Haustür ein. Hatte sich jemand nicht online, sondern hier bei ihm zu Hause am Computer zu schaffen gemacht? Und dann die Fliesen gefegt, um seine Spuren zu verwischen?
Ein absurder Gedanke. Trotzdem blickte Karri unwillkürlich aus dem Fenster. Aber die dunkle Scheibe spiegelte nur sein eigenes Gesicht.
Als das Telefon klingelte, erschrak er. Er war sicher, seine Schwiegermutter wäre am Apparat, aber es war Launo Kohonen. Wie in der Gegend üblich nannte er nicht seinen Namen.
»Hat Tomi angerufen?«, wollte Launo wissen. Er klang erschöpft und ein wenig betrunken.
»Nein. Warum?«
»Er wird gleich anrufen. Aber lass dich nicht verrückt machen. Die Polizei interessiert sich heute Abend nicht für Wilderei, sondern nur für die Morde.«
»Für den Mord, meinst du«, korrigierte Karri.
»Für die Morde«, wiederholte Launo. »Hast du nicht gehört, dass sie ein zweites Opfer gefunden haben?«
Hinter den Bäumen schien helles Licht. Der Weg war mit einem blauweißen Kunststoffband abgesperrt. Es fasste ein Gebiet mit einem Durchmesser von dreißig, vierzig Metern ein. Auf dem Band stand in regelmäßigen Abständen POLIZEI.
Wo das Licht nicht hinfiel, betupften zarte Schneeflocken die Dunkelheit. Sie sahen aus wie kleine Engel. Der Schnee blieb an den Fichtenzweigen hängen und gefror.
Am Wegrand parkten zwei Ford Mondeo der Polizei, ein Zivilfahrzeug war rückwärts ein Stück in den Wald hineingefahren. Am Dach dieses Fahrzeugs waren die Scheinwerfer angebracht, die das Gelände erleuchteten. Im grellen Licht gingen die Leute von der Spurensicherung still ihrer Arbeit nach, sie machten Digital- und Videoaufnahmen, durchkämmten das Gelände, suchten nach Faserspuren auf der Haut des Opfers und entnahmen mit dem Faserband eine Probe, sobald sie etwas gefunden hatten. In regelmäßigen Abständen maßen sie rektal die Körpertemperatur des Opfers. Das war eine der Methoden, mit denen sie den Todeszeitpunkt bestimmten. Über die Hände der Leiche hatte man Plastikbeutel geschoben und zugeklebt, damit beim Abtransport keine Spuren von fremdem Hautgewebe verloren gingen.
Oberinspektor Ari Kekkonen von der Zweigstelle der Zentralkriminalpolizei in Oulu schob sich unter dem Absperrband durch, um zu der Redakteurin der Lokalzeitung zu gelangen, die mit Stift und Notizblock auf ihn wartete. Sie gaben sich die Hand.
»Wie ich schon am Telefon gesagt habe, kann ich Ihnen keine weiteren Informationen geben«, sagte er. »Rufen Sie morgen früh an und reden Sie mit dem Leiter der Ermittlungen.«
»Handelt es sich bei der Toten um Anne-Kristiina Salmi?«, fragte die Frau, wobei sie versuchte, ihrer etwas unsicheren Stimme den selbstbewussten Tonfall einer erfahreneren Journalistin zu verleihen. Ihr ungeschminktes, neugieriges Gesicht leuchtete im Widerschein des grellen Arbeitslichts der Spurensicherung.
»Wie gesagt, kein Kommentar.«
Plötzlich richtete Kekkonen den Blick auf die schwebenden Schneeflocken vor dem dunklen Hintergrund. Er sah Bewegung.
Jemand verbarg sich hinter den Bäumen.
Vor den verdutzten Augen der Redakteurin rannte Kekkonen los. Fast wäre er über eine Kiefernwurzel gestolpert, fand aber auf dem ebenen Grund mit den niedrigen Preiselbeersträuchern gerade noch das Gleichgewicht. Er riss die Taschenlampe vom Gürtel und richtete ihren hellen Lichtkegel in den Wald.
Zwischen den Bäumen bewegte sich etwas, das war sicher. Es war nicht nur eine Redensart, dass Verbrecher mitunter zum Tatort zurückkehrten, weshalb Kekkonen im Laufen seine Glock aus dem Pistolenhalfter zog.
»Stehen bleiben«, rief er außer Atem, obwohl die Gestalt, die er ausgemacht hatte, nicht einmal versuchte davonzulaufen.
»Wer sind Sie? Was, zum Teufel, treiben Sie sich
Weitere Kostenlose Bücher