Renate Hoffmann
Hoffmann. Sie fragte sich, was es überhaupt für einen Sinn hatte zu träumen. Wenn das Unterbewusstsein etwas zu sagen hatte, warum wählte es dann eine Sprache, die Frau Hoffmann nicht verstand? Warum sagte es nicht einfach, was es zu sagen hatte?
Und warum drängte es sich so auf. Vielleicht wollte Frau Hoffmann nichts von dem wissen, was es ihr zu sagen hatte. Doch das schien ihr Unterbewusstsein nicht weiter zu interessieren. Und auch das ärgerte Frau Hoffmann, denn ihrer Meinung nach hatte es ihrem Unterbewusstsein nicht egal zu sein, was sie dachte. Es gehörte schließlich ihr.
Als sie 41 Minuten später in ihr Büro eintrat, fand sie eine Nachricht auf ihrem Schreibtisch, in der sie gebeten wurde sich um halb zehn im Konferenzraum einzufinden. Im ersten Moment erschrak sie, weil sie schlechte Nachrichten vermutete, doch dann atmete sie erleichtert durch, da sie am kommenden Tag ohnehin nicht mehr am Leben sein würde, und schlechte Nachrichten dementsprechend keine wirklich weitreichenden Folgen für sie hätten. Abgesehen davon war das Memo nicht direkt an Frau Hoffmann adressiert, sondern an alle Mitarbeiter der Finanzabteilung und der Buchhaltung.
Um kurz vor halb zehn stieg sie in den Aufzug und drückte die sieben. Ihr war mulmig zumute, doch sie ließ sich ihre Nervosität nicht anmerken. Sie konzentrierte sich auf die Tatsache, dass ihr nichts und niemand etwas tun konnte. Zumindest nichts, das wirklich hätte Schaden anrichten können. In wenigen Stunden würde ein argloser Passant ihren gebrochenen, leblosen und blutverschmierten Körper auffinden. In wenigen Stunden würde alles vorbei sein. Mit diesem tröstenden Gedanken im Kopf verließ Frau Hoffmann den Aufzug und betrat wenige Sekunden später das Konferenzzimmer.
Der Raum war brechend voll. Alle Mitarbeiter drängten sich um den blankpolierten, ovalen Tisch aus Kirschbaumholz. Da Frau Hoffmann schon einige Minuten früher angekommen war, hatte sie einen der spärlichen Sitzplätze ergattert. Sie fragte sich, ob sie Herrn Hofer bei dieser Sitzung über den Weg laufen würde, erinnerte sich dann aber daran, dass Herr Hofer weder zur Finanzabteilung noch zur Buchhaltung gehörte.
Herr Walter betrat den Raum. Er schlug mit seiner immensen Handfläche auf die Tischplatte, was manche der Angestellten mehrere Nerven kostete. Das Gemurmel und Getuschel verstummte augenblicklich. Frau Hoffmann erschrak nicht. Sie war ruhig und gefasst.
Ein solches Verhalten passte zu Herrn Walter. Es erschien ihr natürlich, dass ein solcher Mann einen Tisch brauchte um sich Gehör zu verschaffen. Herr Walter war nicht der Typ Mensch, dem eine Menschenmenge freiwillig folgen würde. Er war eher der Typ Mann, der andere schikanieren musste.
„Die meisten von Ihnen dürften noch nicht mitbekommen haben, dass ich als Ihr direkter Vorgesetzter mit sofortiger Wirkung abgelöst werde“, sagte Herr Walter brummig. Frau Hoffmann studierte die verschiedenen Gesichter. Viele schauten erstaunt drein, keiner jedoch schien enttäuscht oder gar traurig über diese Nachrichten. „Und nicht nur, dass man mich gebeten hat zu gehen, man lässt mich auch noch meine Nachfolgerin vorstellen.“ Sogar Frau Hoffmann fand, dass das zu weit ging. Das hatte selbst Herr Walter nicht verdient. Niemand hatte es verdient derart vorgeführt zu werden. Die Tür zum Konferenzzimmer öffnete sich fast lautlos. Alle Köpfe wandten sich der Tür zu. Jeder versuchte die Frau zu sehen, die es geschafft hatte Herrn Walter zu verdrängen. „Darf ich Ihnen Ihre zukünftige Vorgesetzte Frau Caitlin Connelli vorstellen...“ Er streckte seinen Arm aus und zeigte auf die junge Frau, die eben den Raum betreten hatte. Caitlin Connelli ging elfengleich zum Kopfende des Tisches. Sie lächelte. Der Raum schien von ihrem Lächeln geflutet zu werden. Er schien plötzlich heller und wärmer.
Niemand sagte ein Wort. Alle Augen waren auf Frau Connelli gerichtet. Die Augen der männlichen Angestellten leuchteten. Sie wanderten über ihre Haut, ihre Kurven, und ihre sinnlichen Lippen. Der Ausdruck in ihren Augen war gierig. So, als wäre Frau Connelli ein köstliches, kleines Törtchen. Die Blicke der Frauen hingegen waren bösartig. Arrogant musterten sie ihre Konkurrentin. Dass diese Konkurrentin zur selben Zeit auch ihre Chefin war, machte die Situation nicht besser. Keine der anwesenden Frauen schien über diese Tatsache erfreut zu sein. Im Gegenteil. Die geballte Verachtung der weiblichen Belegschaft
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