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Renate Hoffmann

Renate Hoffmann

Titel: Renate Hoffmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Freytag
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weil sie keine Ahnung hatte, welche sie nehmen sollte, entschied sie sich letzten Endes für ein gelbes Päckchen mit einem Helm, aus dessen beiden Seiten große Flügel ragten. Wie man die Marke aussprach, wusste Frau Hoffmann selbstverständlich nicht. Und das hatte nichts damit zu tun, dass Frau Hoffmann zu schlicht gewesen wäre – sie sprach nur leider kein Französisch.
     
Kapitel 5  
    Als sie die Türe ihres Balkons öffnete, war sie aufgeregt. Ihre Stimmungslage kam der eines Kindes gleich, das in wenigen Momenten seine Geschenke auspacken darf. Es kam ihr albern vor, derart nervös zu sein wegen einer Sache, die, rein objektiv betrachtet, überhaupt nichts Spannendes an sich hatte.
    Ihre Fingerspitzen waren eiskalt, als sie eine Zigarette aus der Schachtel zog. Unbeholfen klemmte sie sie sich in den Mundwinkel und steckte sie an. Sie zog, inhalierte und hustete. Diesen Vorgang wiederholte sie einige Male, dann wurde ihr schwindlig und sie setzte sich auf einen der beiden Balkonstühle. In diesem Moment fragte sie sich, warum sie überhaupt zwei Stühle hatte, wo sie doch ohnehin nie jemand besuchte. Sie griff nach der Armlehne des zweiten Stuhls, zog ihn näher an sich heran und legte ihre Füße auf die Sitzfläche. Sie dachte daran, was wohl ihre Mutter sagen würde, wenn sie sie so sehen würde. Doch dann wurde ihr klar, dass das keine Rolle mehr spielte, denn in wenigen Tagen würde sie sich ohnehin umbringen.
    Ihr Blick fiel auf den Häuserblock auf der gegenüberliegenden Seite. Aus der Entfernung sahen die einzelnen Wohnungen aus wie unendlich viele Käfige, die auf einander gestapelt worden waren. In manchen Fenstern brannte Licht, andere waren pechschwarz. In einigen waren kleine Punkte zu erkennen. Die Tatsache, dass manche von ihnen sich bewegten, ließ darauf schließen, dass es Menschen waren. Frau Hoffmann kniff ihre Augen zusammen, um mehr erkennen zu können. Sie konzentrierte sich so sehr auf die kleinen Punkte, dass sie die Zigarette für einen kurzen Moment vergaß. Erst der brennende Schmerz an ihrem Zeigefinger ließ sie aufschrecken.
    Ihr Mund war trocken, ihr Hals kratzte. Vorsichtig schleckte sie über die Fingerkuppe ihres Fingers, dann nahm sie ihre Beine von der Sitzfläche und ging in die Küche.
    Ihr war schwummrig zumute, ihre Knie fühlten sich ungewohnt weich an, und doch war sie glücklich. Zumindest so glücklich, wie sie es vermochte zu sein. Und in dieser Sekunde kam ihr ein Gedanke, der sie noch glücklicher machte, was an und für sich schon fast unheimlich war. Sie ging in den Flur und öffnete die Tür zu ihrer Abstellkammer. Mit einem gezielten Handgriff zog sie die kleine Leiter hervor, sie klappte sie auf und stieg auf die höchste Stufe. Sie griff nach einer dunkelbraunen Schachtel und kletterte wieder hinunter.
    Wenige Minuten später schaute sie zufrieden in ihre linke Hand. Dann verstaute sie den Karton wieder im Regal, klappte die Leiter zusammen und stellte sie auf ihren Platz zurück. Frau Hoffmann konnte nicht verstehen, dass manche Menschen Dinge verlegten oder nicht finden konnten. In ihrem Leben hatte alles einen festen Platz.
    Sie ging zurück auf den Balkon und setzte sich auf den Stuhl, ihre Beine legte sie auf den zweiten. Dann zündete sie sich eine Zigarette an, inhalierte und hustete. Doch dieses Mal schon um einiges weniger als bei der ersten. Sie nahm das Fernglas, das in ihrem Schoß lag und hielt es sich vor die Augen.
    Frau Hoffmann wanderte von Fenster zu Fenster. Sie sah Menschen, die gemeinsam an einem Tisch saßen und aßen. Sie sah Menschen vor ihren Fernsehern sitzen, und andere, die telefonierend durch ihre Wohnzimmer gingen. Sie zog an ihrer Zigarette und versuchte sich einzureden, dass sie ihr schmeckte, was ihr nicht gelang. Sie beobachtete ein Paar bei einem schlimmen Streit. Beide hatten angespannte Gesichter und fuchtelten energisch mit ihren Armen. Es erschien ihr seltsam, einen Streit zu sehen, ohne die dazu gehörigen Geräusche zu hören. Die Nachbarwohnung war dunkel, doch in der daneben brannte Licht. Und was sie in dieser Wohnung sah, verschlug ihr kurzzeitig den Atem. Da war ein Mann in den besten Jahren. Er trainierte auf einem Sportgerät. Daran war nicht Tragisches, doch das war auch nicht der Grund für Frau Hoffmanns Entsetzen. Es war vielmehr die Tatsache, dass er völlig nackt trainierte.
    Frau Hoffmann richtete sich in ihrem Stuhl langsam auf. Sie starrte wie hypnotisiert auf den nackten Nachbarn, der laut

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