Rendezvous im Hyde Park
Pause plötzlich krank geworden, hatte man ihm gesagt, und mit Lady Louisa, die darauf bestanden hatte, sie zu begleiten, nach Hause gegangen.
Nicht dass Sebastian ein Wort davon geglaubt hätte. Miss Winslow hatte vor Gesundheit nur so gestrotzt; sie wäre höchstens dann krank geworden, wenn ein Schwindsüchtiger sich im Treppenhaus auf sie gestürzt hätte.
Lady Cosgrove und Lady Wimbledon, von ihrer Aufgabe als Anstandsdamen befreit, waren ebenfalls gegangen und hatten die Gäste allein in der Loge zurückgelassen. Olivia setzte sich sofort in die erste Reihe und belegte den Stuhl neben sich mit einem Programm, für Harry, der ins Foyer gegangen war.
Sebastian war zum zweiten Akt geblieben, hauptsächlich, weil Olivia darauf bestanden hatte. Er hatte sich darauf eingestellt, nach Hause zu gehen und zu schreiben (der Schwindsüchtige im Treppenhaus hatte ihm eine ganze Reihe Ideen eingegeben), doch sie hatte ihn fast auf den Platz neben sich gezerrt und ihm zugezischt: „Wenn du jetzt gehst, werden alle denken, du hättest Miss Winslow begleitet, und ich erlaube dir nicht, dass du das arme Mädchen in der ersten Saison ruinierst."
„Sie ist mit Lady Louisa gegangen!", protestierte er.
„Hältst du mich wirklich für so rücksichtslos, dass ich mich mit so was auf eine menage à trois einlasse?"
„Mit so was?"
„Du weißt schon, was ich meine", sagte er finster.
„Man wird es für einen Trick halten", erklärte Olivia.
„Lady Louisas Ruf mag über jeden Zweifel erhaben sein, deiner ist es nicht, und die Art, wie du dich mit Miss Winslow während des ersten Akts aufgeführt hast..."
„Ich habe mich mit ihr unterhalten."
„Wovon redet ihr?" Harry war aus dem Foyer zurückgekehrt und musste an ihnen vorbei, um zu seinem Platz zu kommen.
„Nichts", fuhren sie ihn beide an und zogen die Beine an, um ihn vorbeizulassen.
Harry hob die Brauen, gähnte dann aber nur. „Wo sind die anderen alle hin?", fragte er und setzte sich.
„Miss Winslow ist krank geworden", erklärte Olivia, „und Lady Louisa hat sie heimbegleitet. Die beiden Tanten sind auch gegangen."
Harry zuckte mit den Schultern, da ihn die Oper mehr interessierte als irgendwelche Klatschgeschichten, und nahm sein Programm zur Hand.
Sebastian wandte sich Olivia zu, die ihn jetzt wieder finster musterte. „Willst du mich immer noch ausschimpfen?"
„Du hättest es besser wissen sollen", sagte Olivia gedämpft.
Sebastian sah zu Harry hinüber. Der hatte sich ins Programm vertieft und schien nicht auf das Gespräch zu achten.
Was bei Harry natürlich hieß, dass er jedes Wort verfolgte.
Sebastian entschied, dass ihm das egal war. „Seit wann hast du dich zu Miss Winslows Beschützerin aufgeschwungen?"
„Gar nicht", erwiderte sie und zuckte zierlich mit den Schultern. „Aber es ist doch offensichtlich, dass sie neu in der Stadt ist und Orientierung braucht. Ich zolle Lady Louisa Beifall dafür, dass sie sie nach Hause gebracht hat."
„Woher weißt du denn, dass Lady Louisa sie nach Hause gebracht hat?"
„Oh, Sebastian", sagte sie und warf ihm einen ungeduldi-gen Blick zu. „Wie kannst du diese Frage überhaupt stellen?"
Und damit hatte es ein Bewenden. Bis er im Klub ankam.
Dort brach dann die Hölle los.
Du Mistkerl!"
Normalerweise war Sebastian ein recht aufmerksamer Mensch mit schnellen Reflexen und einem gesunden Selbsterhaltungstrieb, doch im Augenblick weilten all seine Gedanken bei einem einzigen Thema - Miss Winslows fein geschwungenen Lippen -, und so hatte er beim Betreten des Klubs weniger als sonst auf seine Umgebung geachtet.
Und hatte seinen Onkel nicht gesehen. Oder die Faust seines Onkels.
„Was zum Teufel?"
Der mächtige Hieb schleuderte Sebastian gegen die Wand, sodass seine Schulter nur eine winzige Spur weniger schmerzte als sein Auge, das vermutlich jetzt schon blau anlief.
„Seit dem Augenblick, als du zur Welt kamst", schäumte sein Onkel, „wusste ich, dass du weder Moral noch Disziplin kennst, aber das ..."
Das? Was denn?
„Das", fuhr sein Onkel mit zornbebender Stimme fort,
„ist nicht einmal deiner würdig."
Seit ich auf die Welt kam, dachte Sebastian beinahe ver-
ärgert. Seit ich auf die Welt kam. Nun, damit zumindest hatte sein Onkel recht. So weit er sich zurückerinnern konnte, war sein Onkel immer hart und zornig gewesen, immer beleidigend, hatte immer neue Wege gefunden, um einen kleinen Jimgen herunterzumachen. Später war Sebastian klar geworden, dass dieser Hass
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