Rendezvous im Hyde Park
strömten die Leute, alle in ihrem prächtigsten Festgewand. „Ich weiß nicht, ob Lord Newbury auch da ist", flüsterte sie, „aber selbst wenn nicht, wird er trotzdem bald von dieser Sache erfahren."
Annabel schluckte nervös. Sie wollte die bevorstehende Hochzeit mit Lord Newbury nicht gefährden, und doch ... Wollte sie es unbedingt.
„Lord Newburys wegen mache ich mir keine Sorgen", fuhr Louisa fort und hängte sich bei Annabel ein, um sie näher an sich heranzuziehen. „Du weißt ja, dass ich mir nichts sehnlicher wünsche, als dass nichts aus dieser Ehe wird."
„Ja aber dann ..."
„Großmama Vickers", unterbrach Louisa sie. „Und Lord Vickers. Sie werden außer sich sein, wenn sie glauben, du hättest Lord Newburys Werbimg absichtlich unterlaufen."
„Aber ich ..."
„Und etwas anderes können sie gar nicht glauben."
Louisa schluckte und senkte die Stimme, als sie den neugierigen Blick eines Operngängers auffing. „Sebastian Grey, Annabel."
„Ich weiß!", erwiderte Annabel, dankbar, endlich auch einmal zu Wort zu kommen. „Du brauchst gerade etwas zu sagen. Du flirtest doch schon den ganzen Abend mit ihm!"
Das schien Louisa zu erschüttern, aber nur einen Moment.
„Lieber Gott", sagte sie. „Du bist ja eifersüchtig."
„Bin ich nicht."
„Doch." Ihre Augen begannen zu glänzen. „Das ist wunderbar. Und eine Katastrophe", fügte sie hinzu, fast als nachträglichen Einfall.
„Louisa." Annabel wollte sich die Augen reiben. Plötzlich war sie erschöpft. Und nicht ganz sicher, ob diese listige Person vor ihr tatsächlich ihre sonst so schüchterne Cousine war.
„Still. Hör zu." Louisa sah sich um und stieß dann ein leises Stöhnen aus. Sie schob Annabel in eine Nische und zog den Samtvorhang zu, damit sie halbwegs ungestört sein konnten. „Du musst nach Hause gehen."
„Was? Warum?"
„Du musst jetzt gleich nach Hause gehen. Die Leute werden sich auch so schon den Mund zerreißen."
„Ich habe doch nichts anderes gemacht, als mit ihm zu reden!"
Louisa legte Annabel die Hände auf die Schultern und sah ihr direkt in die Augen. „Das reicht. Glaub mir."
Annabel warf einen Blick auf die ernste Miene ihrer Cousine und nickte. Wenn Louisa sagte, dass sie nach Hause gehen musste, dann musste sie nach Hause gehen. Sie kannte sich in dieser Welt besser aus als Annabel. Sie wusste, wie man durch die trüben Wasser der Londoner Gesellschaft steuerte.
„Mit etwas Glück benimmt sich im zweiten Akt jemand anders daneben, dann vergessen sie dich. Ich sage allen, dass du plötzlich krank geworden bist, und dann ..." Auf Louisas Gesicht malte sich Besorgnis.
„Was?"
Sie schüttelte den Kopf. „Ich werde einfach dafür sorgen müssen, dass Mr Grey für die restliche Aufführung in der Loge bleibt. Wenn er ebenfalls früher geht, wird jeder annehmen, er hätte dich begleitet."
Alles Blut wich aus Annabels Gesicht.
Louisa schüttelte den Kopf. „Es wird mir schon gelingen, keine Sorge."
„Bist du sicher?" Annabel war da ganz und gar nicht zu-versichtlich. Für ihre Durchsetzungskraft war Louisa nicht gerade berühmt.
„Ja, ich kriege das schon hin", sagte Louisa. Es klang, als müsste sie sich selbst ebenso davon überzeugen wie Annabel. „Mit ihm kann man viel besser reden als mit den meisten anderen Männern."
„Das ist mir auch aufgefallen", meinte Annabel schwach.
Louisa seufzte. „Ja, kann ich mir vorstellen. Also schön, du musst nach Hause gehen, und ich ..."
Annabel wartete.
„Und ich komme mit dir", schloss Louisa entschieden.
„Das ist überhaupt eine viel bessere Idee."
Annabel stand da und blinzelte.
„Wenn ich dich begleite, wird niemand Verdacht schöpfen, selbst wenn Mr Grey ebenfalls aufbricht." Louisa zuckte verlegen mit den Schultern. „Das ist der Vorteil, wenn man einen makellosen Ruf hat."
Bevor Annabel noch fragen konnte, was das dann über ihren eigenen Ruf aussagte, fuhr Louisa fort: „Du bist eine unbekannte Größe. Ich nicht... Niemand würde mir je irgendeine Schandtat zutrauen."
„Wäre es dir lieber, die Leute täten es?", fragte Annabel vorsichtig.
„Nein." Louisa schüttelte beinahe sehnsüchtig den Kopf.
„Ich tue nie etwas Falsches."
Doch als sie ihr Versteck verließen, hätte Annabel schwö-
ren mögen, sie hätte Louisa flüstern hören: „Leider."
Drei Stunden später betrat Sebastian seinen Klub. Er war immer noch ziemlich verärgert über die Entwicklung, die der Abend genommen hatte. Miss Winslow war in der
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