Rendezvous mit Biss: Roman (German Edition)
wieder, doch ich konnte die Baseballmütze nirgends mehr entdecken. Einige Passanten begannen zu schreien. Ich bahnte mir mit Jade einen Weg durch die Menge. Der Mann mit der Baseballmütze lag auf dem Boden, und unter seinem Körper quoll Blut hervor. Seine braunen Augen starrten in den Himmel, doch ich war mir sicher, dass sie nichts mehr wahrnahmen. Als eine Expertin auf diesem Gebiet erkenne ich einen Toten, wenn ich ihn sehe.
Ich eilte zurück zu meiner Wohnung. Vergeblich versuchte ich, mir einen Reim auf das Geschehene zu machen. Ich verfiel in einen leichten Trab, ein ätzender Geschmack breitete sich in meinem Mund aus, und ein Schmerz wie von einer Messerklinge durchfuhr meine Eingeweide. Ich hatte mich aus dem Staub gemacht, bevor die Polizei im Park eingetroffen war, trotzdem würde ich zu spät zu der Besprechung mit den Dark Wings kommen. Meine beständige Unpünktlichkeit an sich war keine große Sache. Ich komme grundsätzlich zu spät – wie alle Vampire. Aber mich beunruhigte, dass man uns derart überstürzt aus dem Urlaub zurückrief. Bei der letzten ernsten Situation war eine schmutzige Bombe in einem Schiffscontainer über Port Newark ins Land geschmuggelt worden und New York City nur wenige Stunden von einem schweren Terrorangriff entfernt gewesen. Versuchten die Mistkerle es etwa erneut?
Ich stieß meine Wohnungstür auf und folgte Jade ins Innere. Das rote Lämpchen an meinem Anrufbeantworter leuchtete. Mit wachsender Anspannung drückte ich auf den Wiedergabe-Knopf. Ich vernahm die Stimme meiner Mutter, sie wirkte angespannt und ungewöhnlich zärtlich.
»Daphne, cara mia. Ich muss dich um einen Gefallen bitten. Ich komme noch vor Tagesanbruch zu dir. Es ist wichtig, dass du unvoreingenommen bist. Es geht um deinen Vater. Erinnerst du dich noch an die Zeit, als wir ganz auf uns allein gestellt waren? Nur du und ich? Du musst mir vertrauen, genau so, wie du es damals getan hast. Ich habe die Möglichkeit herauszufinden, was mit deinem Vater geschehen ist.« Ihre Stimme brach ab, es entstand eine Pause, dann fügte sie sehr emotional hinzu: »Ich flehe dich an, tu mir diesen Gefallen.«
Wie bitte?, dachte ich. Wieso erwähnt sie plötzlich meinen Vater, nachdem sie sich vierhundert Jahre lang geweigert hat, über ihn zu reden? Meine Gefühle schwankten zwischen Schmerz und vollkommener Verwirrung. Ich habe keinerlei Erinnerung an meinen Vater. Ich war noch ein kleines Kind, als er starb. Meine Mutter tauchte daraufhin mit mir unter, und bis zu meinem achten Lebensjahr zogen wir auf dem italienischen Land von einem Ort zum nächsten, beschützt von Freunden und ständig voller Furcht, entdeckt zu werden.
Ich fand nie heraus, was meinem Vater zugestoßen war oder warum wir uns verstecken mussten. Ich wusste lediglich, dass einige mächtige Männer der römischen Kirche unseren Tod wollten. Seit dieser Zeit war der Vatikan unser erbittertster Feind. In den Geschichtsbüchern steht, mein Vater sei kurz nach seiner Wahl zum Papst an einer Krankheit gestorben. In den wenigen Tagen, in denen er die mächtigste Regierung der Welt leitete, setzte er radikale Reformen durch, die von den Reichen nahmen und den Armen gaben und ihn damit zum Robin Hood der katholischen Kirche machten. Wahrscheinlich steckte meine Mutter hinter seiner Politik. Sie setzt sich jetzt seit Jahrhunderten für eine bessere Welt ein. Vielleicht hatten seine radikalen Ideen jemanden dazu veranlasst, ihn umzubringen, denn seine »Krankheit« roch verdächtig nach Mord. Vielleicht hatte aber auch jemand die Existenz seiner Vampir-Geliebten entdeckt und die des Kindes, das sie ihm geboren hatte. Was auch immer in den zwölf Tagen zwischen der Papstwahl und seinem Tod geschehen war, es machte meiner Mutter derart zu schaffen, dass sie nie darüber sprechen wollte. Ihre ständig gleich bleibende Antwort auf die vielen Fragen nach meinem Vater bestand lediglich aus einem traurigen Kopfschütteln und dem Versprechen, dass sie mir eines Tages alles erzählen würde. Doch dieser Tag war nie gekommen. Die Nachricht auf dem Anrufbeantworter weckte also nicht nur meine Neugier. Sie belebte auch meinen Wunsch wieder, so viel wie möglich über meinen Vater zu erfahren und damit die Leere auszufüllen, die durch ein Leben ohne ihn in mir entstanden war. Andererseits konnte die bloße Erwähnung meines Vaters auch nur ein Köder sein, mit dem meine Mutter mich zu jedwedem unangenehmen, unverschämten oder einfach nur widerlichen Plan
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