Rendezvous Mit Dem Universum
formuliert werden.« Wenn es rund 100 Jahre lang nicht geklappt hat, ist ja vielleicht ganz interessant zu wissen, was die Intelligenz vor mehr als 110 Jahren über Intelligenz gedacht hat. Meyers Konversationslexikon von 1897 sagt in Band 9: »Intelligenz: Verständnis, Einsicht, Erkenntnis, besonders eine solche, welche von der sinnlichen Wahrnehmung nicht unmittelbar abhängig oder auf sie beschränkt ist, also die verständige oder vernünftige Erkenntnis; dann das Vermögen, eine solche Erkenntnis zu erwerben; endlich ein Wesen, welches mit diesem Vermögen begabt ist, also der Mensch im Gegensatz zum Tier.«
Wenn wir noch einige Zeilen weiterlesen, erfahren wir zu unserem Erstaunen, dass »Intelligenzblätter... periodisch erscheinende Blätter mit... Geschäftsanzeigen, die schnell zur öffentlichen Kenntnis gebracht werden sollen«, sind. Und wir sehen, dass die Vorstellung von Intelligenz zeitgeistigen
Einflüssen unterliegt. Meyers Enzyklopädisches Lexikon von 1980 spricht nämlich (in Band 12) ganz selbstverständlich von der Intelligenz der Tiere, bei denen »Intelligenz im Sinne von einsichtigem Verhalten zu verstehen ist, zum Beispiel der spontane Einsatz körperfremder Gegenstände (Kisten, Stöcke)«. Man hat also dazugelernt. Das sagt auch der nächste Absatz: »Die I. hat sich als geistig-dynam. soziales Element erst mit dem aufklärerischen Fortschrittsglauben der bürgerlichen Gesellschaft entwickelt.« Wer das geschrieben hat, gehört auf jeden Fall zu eben dieser Gesellschaft. Er hat insofern recht, als er erstmals von einer sozialen oder kollektiven Intelligenz spricht im Gegensatz zur persönlichen, aber er irrt, wenn er glaubt, dass Bürger nötig waren, um die zu entwickeln. Er irrt gewaltig. Die soziale Intelligenz ist vielleicht älter als die individuelle.
Wenn wir auch noch eine Enzyklopädie aus den 1970er-Jahren zu Rate ziehen (Brockhaus, Bd. 9), lernen wir wieder ein bisschen mehr. Intelligenz ist auch »die I.-Träger als Gesellschaftsschicht«, und dazu gehören »akademisch, literarisch und künstlerisch Gebildete«. Das hat einer geschrieben, der sich für gebildet hielt. Und er hat eine dumpfe Ahnung des Zeitgeistes treffend formuliert.
Wir wissen also nach der Lektüre von vier Lexika definitiv nur, dass keiner weiß, was Intelligenz ist, viele sich jedoch für intelligent halten. Früher hat man versucht, sie in sieben »Primärfaktoren« zu begreifen (Sprachgefühl, Rechnen etc.), heute versucht man es mit 120 Faktoren in dreidimensionalen Modellen. Ein qualitativer Unterschied ist das im Prinzip nicht. Interessant ist vielleicht noch, dass man mittlerweile nicht nur individuelle und kollektive Intelligenz unterscheidet, sondern auch »kulturbedingte oder kristallisierte I. (Wortverständnis, Rechnen, allgemeines Wissen) und biologische oder fluide I. (induktives Denken, assoziatives Gedächtnis)«. Und es scheint, dass »Anlage und Umwelt zu etwa gleichen Teilen die I. bedingen« (Brockhaus von 1989).
(Heute, kurz vor Frühjahrsanfang 2010, habe ich nochmal im Internet unter Intelligenz geschaut, was es Neues gibt. Mehr als die Hälfte der ersten 20 Ergebnisse verweisen jedoch nur auf Intelligenztests, deren Verlässlichkeit und Objektivität in allen anderen Artikeln zum Thema angezweifelt oder zumindest eingeschränkt werden. Der Eintrag von Wikipedia auf dem ersten Platz ist zwar sehr umfang- und detailreich, kann aber auch keine umfassende Definition
anbieten. Immerhin ist nun die emotionale I. dazugekommen, behandelt wird die I. aber als ausschließlich menschliche Eigenschaft.
Kürzer und prägnanter ist da schon ein Beitrag von Herrn Prof. Dietmar Dietrich, der kein Psychologe ist, sondern ein Informatiker beim Versuch, intelligente Artefakte zu entwickeln. Zuerst einmal sagt er, dass die Forschung »stagniert und etwas Neues seit Jahrzehnten nicht dazugekommen ist«. Dann sagt er etwas sehr Wichtiges und vermutlich absolut Richtiges: »Es gibt keine Intelligenz ohne Gefühl!«, und zwar, weil die Basis aller Entscheidungen ein Gefühl ist. Das ist doch was Neues! Oder ist das einzige Säugetier, das seine Lebensbasis systematisch zerstört, wirklich so intelligent, wie es das von sich annimmt?
Es ist gewiss ein Mangel, dass in fast allen Forschungen über Intelligenz diese isoliert betrachtet wird, und dass mehr I. grundsätzlich besser angesehen ist als weniger I. Man kann jedoch eine Fähigkeit nicht bewerten, ohne die Folgen ihrer Anwendung
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