Rendezvous mit Übermorgen
Verantwortung.«
»Vielleicht ist er einfach bloß ein Blödarsch«, sagte Wilson und stand gleichfalls auf. »Ich leg mich ein bisschen hin.« Während Wilson aus der großen Baracke ging, fiel es Nicole wieder ein, dass sie vor der Biotenjagd bei allen einen Biometrie-Test machen wollte. An sich keine besonders komplizierte Sache. Sie brauchte nichts weiter zu tun, als mit ihrem eingeschalteten Scanner eine Dreiviertelminute bei jedem der Kosmonauten zu stehen und danach die kritischen Daten vom Monitor abzulesen. Ergaben sich dabei keine Messungen im Warnbereich, war das Ganze ziemlich klar. Bei diesem Check waren alle - einschließlich Takagishi - sauber. »Läuft ja glatt«, sagte Nicole sehr leise zu ihrem japanischen Kollegen.
Dann ging sie hinaus, um David Brown und Reggie Wilson zu suchen. Dr. Browns Unterkunft lag am anderen Lagerende. Wie die übrigen Privatquartiere ähnelte auch seines einem hohen schmalen, flach auf dem Boden liegenden Hut. Sämtliche Kabinen waren stumpfweiß, etwa zweieinhalb Meter hoch, auf einer knapp zwei Meter weiten runden Basis. Sie bestanden aus superleichten, biegsamen Stoffen, die leicht zu verpacken und zu lagern waren, dabei aber eine erstaunliche Festigkeit besaßen. Nicole fand, diese »Hütten« sahen irgendwie den Tipi-Zelten der nordamerikanischen indianischen Ureinwohner ähnlich.
David Brown saß mit übergeschlagenen Beinen auf dem Boden seiner Hütte vor einem tragbaren Computer-Monitor. Über den Schirm lief Text aus dem Kapitel über Bioten in Takagishis Atlas of Rama. Nicole steckte den Kopf durch die Tür und sagte: »Entschuldigen Sie, Dr. Brown.«
»Ja, was gibt es denn?« Er war nicht bemüht, seine Verärgerung über die Unterbrechung zu verbergen. »Ich muss Ihre Biometrie checken. Bei Ihnen ist seit kurz vor der ersten Exkursion kein Dump mehr gemacht worden.«
Brown schleuderte ihr einen ärgerlichen Blick zu. Aber sie gab nicht nach. Der Amerikaner stieß einen unterdrückten knurrenden Fluch aus, zuckte die Achseln und wandte sich wieder seinem Monitor zu. Nicole kniete sich neben ihn und aktivierte den Scanner.
»Drüben in der Materialbaracke gibt es Faltstühle«, offerierte Nicole, als Dr. Brown, offensichtlich unbequem, das Gewicht verlagerte. Er überhörte die Bemerkung. Warum ist der Mann dermaßen unfreundlich mir gegenüber? Etwa wegen dieses Berichts über Wilson und ihn ? Nein , gab sie sich selbst die Antwort, es ist, weil ich mich ihm gegenüber nie gebührend unterwürfig gezeigt habe.
Auf Nicoles Schirm tauchten Daten auf. Vorsichtshalber schob sie ein paar Inputs dazu, durch die eine Synopse der Warnsignale ermöglicht wurde. »Ihr Blutdruck war während der letzten zweiundsiebzig Stunden intermittierend sprunghaft immer wieder zu hoch, und heute beinahe schon den ganzen Tag«, erklärte sie sachlich. »Dieses Muster gilt in der Regel als stressbedingt.«
Dr. Brown hörte auf, sich über Bioten zu informieren, und wandte seinem biowissenschaftlichen Offizier das Gesicht zu. Er besah sich die aufgeführten Daten, ohne sie zu begreifen. »Diese Graphik gibt Auskunft über Ausmaß und Dauer Ihrer jeweiligen Normabweichungen«, erklärte Nicole und zeigte auf den Minischirm. »Keines der vereinzelten akuten Symptombilder wäre für sich genommen ernst. Aber insgesamt bieten sie Anlass zu Besorgnis.«
»Ich habe ja einige Belastungen durchzustehen«, sagte er kaum hörbar. Dann sah er zu, während Nicole weitere Displays abrief, die ihre ersten diagnostischen Behauptungen untermauerten. Viele der Warndaten bei Dr. Brown lagen über der tolerablen Norm.
Die Blinklichter zuckten weiter über den Monitor. »Wie sieht
das Szenario für den Schlimmstfall aus?«, wollte er wissen.
Nicole blickte ihrem Patienten direkt ins Gesicht. »Schlaganfall mit Lähmung oder Tod«, antwortete sie. »Sofern der jetzige Zustand anhält oder sich verschlechtert.«
Er pfiff vor sich hin. »Und was soll ich tun?« »Zunächst einmal müssen Sie damit beginnen, mehr zu schlafen. Ihr Metabolismusprofil, die Stoffwechselkurve, zeigt,
dass Sie seit dem Tod von General Borzow insgesamt nur elf Stunden durchgehenden festen Ruheschlaf hatten. Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie Schlafstörungen haben?«
»Ich dachte, das kommt nur von der Aufregung. Ich habe einmal in der Nacht sogar eine Schlaftablette genommen, aber sie hat nicht gewirkt.«
Nicole zog die Brauen zusammen. »Ich kann mich nicht erinnern, Ihnen irgendein Schlafmittel verordnet zu
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