Rendezvous mit Übermorgen
Zögern sagte Francesca: »Ja. Haben Sie ihn denn nicht auch gleich nach dem Lunch untersucht?«
Wieder schüttelte Nicole den Kopf. »Nein. Er schlief bereits.« Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. »Ich hatte vor, ihn vor Beginn der Besprechung durchzuchecken. Also etwa in einer Stunde.«
Francesca wirkte verwirrt. »Also«, sagte sie, »als David mir gestanden hat, dass das Medvil in seiner Biometrie aufgetaucht ist, da dachte ich mir...« Sie schien ihre Gedanken zu sammeln, ehe sie weitersprach. Nicole wartete geduldig.
»Schon vor einer Woche hat Reggie sich immer wieder über Kopfschmerzen beklagt, gleich nachdem die beiden Newton-Schiffe für das Rendezvous mit Rama dockten. Und weil wir beide so liebe alte Freunde sind und er weiß, dass ich mich ein bisschen auskenne mit Medikamenten - Sie wissen schon, nach der ganzen Recherchenarbeit für meine Dokumentarserie -, also, da hat er mich einfach gebeten, ob ich nicht was gegen sein Kopfweh habe. Natürlich habe ich mich zuerst geweigert, aber als er mich dann immer weiter behämmert hat, also, da habe ich ihm schließlich eine kleine Dosis Nubitrol gegeben.«
Nicole zog die Brauen zusammen. »Das ist aber ein ziemlich starkes Zeug für simple Kopfschmerzen. Es gibt noch immer eine ganze Zahl von Ärzten, die überzeugt sind, man darf es erst dann verordnen, wenn sonst kein Mittel mehr hilft...«
»Aber - das habe ich ihm doch alles auch gesagt«, erklärte Francesca. »Allein, er blieb hartnäckig. Sie kennen eben Reggie nicht. Manchmal ist es unmöglich, ihm mit Vernunftsgründen zu kommen.«
»Und wie viel haben Sie ihm gegeben?«
»Insgesamt acht Tabletten, also zweihundert Milligramm.«
»Kein Wunder, dass er sich dermaßen seltsam aufgeführt hat!« Nicole hangelte sich ihren Taschencomputer vom Seitenbord. Sie rief sich die Kurzinfo über Nubitrol ab. »Na, das gibt nicht viel her«, sagte sie. »Ich werde OToole bitten müssen, mir den Gesamteintrag aus dem Medizinischen Enzyklopädie-Speicher rüberzuspielen. Aber wenn ich mich recht erinnere, hat es da nicht mal eine Kontroverse gegeben, dass Nubitrol sich wochenlang im Körper aufhält, ohne ausgeschieden zu werden?«
»Daran kann ich mich nicht erinnern«, sagte Francesca. Sie schaute auf den Monitor in Nicoles Hand und las rasch den Text ab. Nicole war wütend. Sie hätte liebend gern Francesca verbal zerfetzt, entschied sich jedoch im letzten Moment dagegen. Aha,, also hast du sowohl David wie Reggie starke Drogen verpasst, dachte sie. Und dann tauchte eine undeutliche Erinnerung in ihr auf: Francesca, die Valerij Borzow ein Glas Wein reicht - ein paar Stunden vor seinem Tod. Plötzlich rieselte ein seltsames Frösteln durch Nicoles Körper. Wenn ihre Intuition zuträfe ... Sie drehte sich um und fixierte Francesca mit eiskaltem Blick. »Schön, nachdem Sie nun also gebeichtet haben, dass Sie sich als Arzt und Apotheker bei David und Reggie betätigt haben, gibt es da noch was, das Sie mir sagen möchten?«
»Was meinen Sie damit?«, fragte Francesca. »Haben Sie sonst noch irgendeinem Mitglied der Besatzung irgendwelche Drogen oder Medikamente verabreicht?« Nicole merkte, dass ihr Herz zu rasen begann, als Francesca, nahezu unmerklich, blass wurde und mit der Antwort zögerte. »Nein. Aber nein, natürlich nicht!«, stammelte sie schließlich.
29 Die Jagd
Der Hubschrauber setzte den Rover sehr langsam ab. »Wie viel noch?«, fragte Tabori über den Kommunikator.
»Etwa zehn Meter«, gab Wakefield von unten zurück. Er befand sich an einem Punkt etwa hundert Meter vom Rand des Zylindermeeres entfernt. Von zwei langen Trossen über ihm baumelte der Rover. »Ganz behutsam runterlassen! Im Fahrgestell steckt empfindliche Elektronik.«
Hiro Yamanaka steuerte den Helikopter in die engstmögliche Altitudenschleife, während Janos die Trossen zentimeterweise elektronisch auslegte. »Kontakt!«, rief Wakefield. »Auf den Hinterrädern. Vorn noch einen Meter runtergehen.«
Francesca lief rasch an die Seite, um die historische Bodenberührung des Rovers im südlichen Halbzylinder Ramas aufzuzeichnen. Fünfzig Meter weiter vom Kliffrand entfernt, bei einem Zelt, das als zeitweiliges Hauptquartier diente, bereiteten sich die übrigen Kosmonauten auf den Beginn der Jagd vor. Irina Turgenjew checkte die Anbringung der Seilschlinge im zweiten Hubschrauber. David Brown stand allein einige Meter entfernt und sprach über Funk mit Admiral Heilmann im Beta-Lager. Die beiden gingen noch einmal die
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