Rendezvous um Mitternacht
elektrostatischen Energie zu messen. Mit ausgestrecktem Arm zog ich damit einen Kreis durchs Foyer. Dabei fielen mir der verschwenderisch dicke Teppich, die hohen Decken mit den Stuckleisten und die teuren gemusterten Tapeten ins Auge. Der Kasten war wirklich feudal, selbst ohne Möbel merkte man sofort, dass hier drin eine Menge Geld steckte. Dem Elektrofeldmeter zufolge steckte hier allerdings auch noch etwas ganz anderes.
Ein Auge auf den Zeiger gerichtet, der auf der Anzeige hin und her hüpfte, schritt ich durchs Foyer ins Wohnzimmer. Als ich mich langsam der Glastür zur Terrasse näherte, schlug der Zeiger scharf aus. Ich steckte das Gerät zurück in die Tasche, schloss die Augen und konzentrierte mich.
Ausschlaggebend für meine Spitzen-Erfolgsquoten bei der Geisterjagd sind meine medialen Fälligkeiten, die ich schon vor meiner Zeit als Geisterjägerin beruflich genutzt habe. Das heißt, ich kann die Energie körperloser Seelen spüren, sowohl die, die es erfolgreich auf die andere Seite geschafft haben, als auch solche, die noch hier festsitzen oder, wie wir das gerne nennen, »gestrandet« sind. In der Dartmouth Street Nr. 84 konnte ich sofort zwei solcher gestrandeten Seelen ausmachen, eine weibliche und eine männliche. Ich beschloss, mich zuerst um die weibliche zu kümmern.
Ich folgte dem schwachen Ziehen in meinem Solarplexus, weg von der Terrassentür, wieder ins Foyer und die Treppe hinauf. Während ich der weiblichen Energie näher kam, passierte etwas leicht Beunruhigendes: Die männliche Energie, die vor Bösartigkeit nur so strotzte, begann mir zu folgen. »Halt dich zurück, Junge«, ermahnte ich ihn ruhig. »Du kommst gleich dran.«
Er stellte sich taub und blieb mir weiter auf den Fersen bis zum ersten Stock, wo ich auf dem Treppenabsatz innehielt, anstatt gleich weiter hinaufzusteigen. Da sah ich am Ende des Flurs einen dunklen Schatten in eines der Schlafzimmer huschen.
»Keine Angst«, rief ich ihm zu. »Ich will dir nichts tun.« Ich ging den Flur entlang und betrat das Schlafzimmer. Drinnen bemerkte ich sofort den krassen Temperaturabfall. Mit leichtem Frösteln schlang ich die Arme um den Oberkörper. Eiseskälte kroch mir durch die Kleidung und drang mir bis in die Knochen. An diesen heftigen Kälteschauer, der mit jeglicher Geisteraktivität einhergeht, habe ich mich nie gewöhnen können. Aber ich schob das Unbehagen beiseite und konzentrierte mich auf die bevorstehende Aufgabe. »Wie ist dein Name, Liebes?«, fragte ich sanft in das leere Schlafzimmer hinein.
Es kam keine Antwort, aber ich spürte die Angst, die von dem weiblichen Geist ausging. Schließlich lokalisierte ich ihn in einer Ecke des Raumes, und tatsächlich blitzte in meinen Gedanken flüchtig das Bild einer jungen Frau Anfang zwanzig auf, die am Fenster kauerte. Als ich mich auf sie zubewegte, wurde es noch kälter. Ich ging auf die Knie und schloss die Augen, um mich zu sammeln. »Ich bin hier, um dir zu helfen, Liebes«, sagte ich laut. »Er kann dir nicht mehr wehtun. Und ich werde dafür sorgen, dass er nicht ungestraft davonkommt. Bitte sprich mit mir. Sag mir deinen Namen.«
Erleichtert spürte ich den Namen Carolyn in mein Bewusstsein dringen. Armes Ding – sie war nicht nur von dem Monster hinter mir vergewaltigt und ermordet worden, sondern befand sich jetzt auch noch in einem seltsamen Zustand der Schwebe, den sie nicht begreifen konnte..
Wo sind meine Eltern?, fragte sie verzweifelt.
»Es geht ihnen gut, aber sie machen sich Sorgen um dich. Sie haben mich gebeten, dir zu helfen. Darf ich das, Carolyn?«
Ich öffnete die Augen und richtete den Blick vor mir ins Leere. Ich konnte Carolyn nicht sehen, wohl aber spüren und hören. Sie antwortete nicht gleich, also versuchte ich weiter, sie zu überzeugen. »Ich verspreche, dass dir nichts passieren wird, aber du musst mir vertrauen. Ich kann dich nach Hause führen, aber nur, wenn du auch den Willen dazu hast. Vertraust du mir?«
Er hat es mir versprochen!
»Was hat er dir versprochen, Liebes?« Ich wusste, sie sprach von ihrem Mörder.
Er hat versprochen, mir nichts zu tun, wenn ich mache, was er sagt!
Ich seufzte tief. Mieser Bastard. Langsam freute ich mich richtig darauf, ihn mir vorzunehmen. »Ich weiß, Liebes, ich weiß«, sagte ich ernst. »Das war gelogen. Aber es ist vorbei. Er kann dir nichts mehr tun. Ich hab’s ihm streng verboten.«
Wo sind meine Eltern? Die Frage kam noch flehentlicher als beim ersten Mal. Carolyn stand kurz
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