Rendezvous
aufgefallen, dass ich anscheinend nur in solche Situationen gerate, wenn ich mich von dir als dem Ortskundigen leiten lasse. Da muss man sich doch fragen, ob kein logischer Zusammenhang besteht.«
»Unsinn. Das bildest du dir nur ein.«
Dank Peters intimer Kenntnis der Schattenseiten der Stadt und des allgemeinen Unwillens der Bewohner der Elendsviertel, sich in etwas hineinziehen zu lassen, was nach Ärger roch, standen die beiden Männer schon bald darauf in relativer Sicherheit wieder auf einer geschäftigen Straße.
Harry benutzte seinen Spazierstock, um eine Mietkutsche heranzuwinken, die gerade ein Grüppchen von betrunkenen jungen Gecken abgesetzt hatte. Anscheinend beabsichtigten die vorherigen Fahrgäste, die dunkleren Seiten des Nachtlebens von London zu erkunden.
Harry für seinen Teil hatte mehr als genug gesehen. Er sprang in die Kutsche und ließ sich Peter gegenüber auf den Sitz fallen.
Ein nachdenkliches Schweigen senkte sich herab. Harry schaute müßig auf die dunklen Straßen vor dem Fenster hinaus, als die Kutsche einem besseren Viertel entgegenfuhr. Peter beobachtete ihn im Dunkeln mehrere Minuten lang und sagte kein Wort. Dann sprach er ihn an.
»Eine interessante Geschichte, meinst du nicht auch?« fragte Peter schließlich.
»Ja.«
»Was reimst du dir daraus zusammen?«
Harry ging Bleekers Geschichte in Gedanken noch einmal durch und suchte sie nach Möglichkeiten ab. »Ich bin mir noch nicht sicher.«
»Vorn Zeitablauf her passt alles zusammen«, sagte Peter bedächtig. »Ballinger ist in der Nacht nach dem Brand im Saber Club ermordet worden. Er könnte diesen Zeugen getötet und den Brand gestiftet haben, um seine eigenen Spuren zu verwischen. Und in der nächsten Nacht ist er dann von diesem Straßenräuber erschossen worden.«
»Ja.«
»Soweit wir bisher wissen, ist die Spinne inaktiv geworden, kurz bevor Napoleon im April 1814 abgedankt hat. Auch das würde mit dem Zeitpunkt von Ballingers Tod zusammenpassen. Er ist gegen Ende März jenes Jahres erschossen worden. In der kurzen Zeit zwischen Napoleons Flucht von Elba und der endgültigen Niederlage bei Waterloo hat es keine Anzeichen dafür gegeben, dass die Spinne ihre Arbeit wiederaufgenommen hat.«
»Die Spinne war zu gerissen und hätte sich nicht ein zweites Mal auf Napoleons Seite geschlagen. Der Versuch, 1815 den Thron Frankreichs wieder zu besteigen, war von Anfang an ein aussichtsloses Unterfangen, und außer Napoleon haben das alle gewusst Die Niederlage war beim zweiten Mal unumgänglich, und das wäre der Spinne klar gewesen. Sie hätte sich aus der Geschichte herausgehalten.«
Peter verzog spöttisch den Mund. »Du könntest recht haben. Du hattest immer ein Talent, den nächsten Zug dieses Schurken vorherzuahnen. Aber das Endergebnis ist dasselbe. Die Spinne ist im Frühjahr 1814 von der Bildfläche verschwunden. Vielleicht ist der Grund, aus dem wir nie mehr etwas von unserem Gegenspieler gehört haben, ganz einfach der, dass er das Pech hatte, der Kugel eines Straßenräubers zum Opfer zu fallen. Richard Ballinger könnte die Spinne gewesen sein.«
»Hm.«
»Sogar brillante Superspione muss es gelegentlich zur falschen Tageszeit auf der falschen Straße erwischen. Ich könnte mir vorstellen, dass sie gegen die zufällige Begegnung mit einem Straßenräuber ebenso wenig gefeit sind wie jeder andere auch«, sagte Peter.
»Hm.«
Peter stöhnte. »Ich kann es nicht ausstehen, wenn du in diese Stimmung absackst, Graystone. In solchen Momenten bist du nicht gerade der unterhaltsamste und gewandteste Gesprächspartner.«
Harry drehte endlich den Kopf um und sah seinem Freund in die Augen. »Ich sähe es ungern, wenn auch nur eine einzige von deinen Spekulationen den Weg zu Augusta findet, Sheldrake.«
Peter grinste flüchtig. »Gesteh mir ein Minimum an gesundem Menschenverstand zu, Graystone. Ich habe durchaus die Absicht, meine Hochzeitsnacht zu erleben. Ich habe nicht vor, Augusta zu schockieren und dadurch deinen Zorn zu riskieren.« Sein Lächeln erlosch. »So oder so sehe ich in Augusta eine gute Freundin und gleichzeitig auch eine Angehörige der Familie meiner zukünftigen Frau. Ich habe ebenso wenig wie du den Wunsch, sie wegen der unehrenhaften Taten ihres Bruders leiden zu sehen.«
»Genau.«
Eine halbe Stunde später, nachdem die Kutsche sich ihren Weg durch die verstopften Straßen eines nobleren Stadtteils gebahnt hatte, stieg Harry vor der Tür seines Stadthauses aus. Er wünschte Peter eine
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