Rendezvous
Unterkünften der Dienstboten vorbeigeführt. Das Risiko, jemanden zu wecken, war zu groß.
Es machte keine größeren Schwierigkeiten, in der dunklen Bibliothek das Fenster zu öffnen und sich in den Garten hinauszuschleichen. Schließlich hatte sie an jenem schicksalhaften Abend, als sie Harry ihren mitternächtlichen Besuch abgestattet hatte, diesen Weg in umgekehrter Richtung zurückgelegt.
Wenn sie jetzt daran zurückdachte, verwunderte es sie immer noch, dass Graystone sie nach diesem ausgelassenen Kabinettstück noch hatte heiraten wollen. Als es darum gegangen war, seinen Entschluss zu fassen, hatte zweifellos sein Ehrgefühl den Ausschlag gegeben.
Augusta sprang auf den Boden und ließ das Fenster hinter sich offen, um eine schnelle Rückkehr zu gewährleisten. Sie zog ihren dunklen Umhang enger um sich, setzte die Kapuze auf und blieb einen Moment lang stehen, um zu lauschen.
Als kein Laut zu vernehmen war, begab sie sich vorsichtig zum Gartentor. Solche Dinge erforderten größte Vorsicht, warnte sie sich selbst. Sie musste ihre Geistesgegenwart behalten. Wer auch immer sie auf dem schmalen Pfad erwarten würde — sie würde denjenigen gründlich ausfragen. Und sie würde sorgsam darauf achten, dass er Abstand wahrte. Falls es sich als notwendig erweisen sollte, konnte sie immer noch um Hilfe schreien. Die Dienstboten oder die Nachbarn würden sie hören.
Sie blieb stehen, ehe sie das Tor öffnete, um ein weiteres Mal angestrengt zu lauschen. Noch nicht einmal ein Flüstern oder Schritte waren zu hören. Augusta schob den Riegel zurück und öffnete behutsam das Tor. Die Angeln quietschten protestierend.
»Hallo? Ist dort jemand?«
Sie bekam keine Antwort. Am Ende des Gehweges brannten in allen Fenstern von Lady Arbuthnotts Haus die Lichter, doch die anderen Wohnhäuser, die näher waren, lagen im Dunkeln. Auf der Straße klapperten die Räder einer Kutsche und entfernten sich in die Nacht hinein.
»Hallo?« Augusta lugte ein paar Minuten lang besorgt in das tiefe Dunkel. »Bitte, sind Sie hier? Ich habe Ihre Nachricht erhalten, wer auch immer Sie sein mögen. Ich möchte mit Ihnen reden.«
Sie machte einen Schritt nach vorn, aus der Sicherheit des Gartens hinaus, und ihr Zeh stieß gegen einen harten Gegenstand auf dem Boden.
»Was auf Erden hat das zu bedeuten?« Automatisch senkte Augusta den Blick und sah auf den Pflastersteinen einen quadratischen Gegenstand liegen. Sie wollte gerade einen weiteren Schritt zurück und über diesen Gegenstand steigen, als sie bemerkte, dass es sich um eine Art Buch handelte. Sie bückte sich und hob es auf.
Als sich ihre Hand um den ledergebundenen Band schloss, hörte sie plötzlich Pferdehufe am anderen Ende des Gehwegs. Sie drehte sich gerade noch rechtzeitig um und sah ein Pferd und einen Reiter um die Ecke biegen und verschwinden.
Jemand hatte sie in der Dunkelheit beobachtet, erkannte sie mit einem Frösteln. Jemand hatte dort im Dunkeln herumgelungert, gewartet, bis sie das Buch aufgehoben hatte, und war dann fortgeritten.
Aus irgendwelchen Gründen verspürte Augusta plötzlich große Furcht, weit mehr Furcht als bei ihrem Aufbruch zu diesem Abenteuer. Sie sprang in den Garten zurück, schloss hastig das Tor und schob den Riegel vor. Sie hielt den schmalen Band mit einer Hand umklammert und raste der Sicherheit des Hauses entgegen. Der dunkle Umhang umwehte sie, und beim Laufen lösten sich die Nadeln aus ihrem Haar.
Als sie das Fenster der Bibliothek erreichte, ging ihr Atem viel zu schnell. Sie warf das Buch über das Fensterbrett auf den Teppich, stemmte beide Handflächen auf das steinerne Sims und zog sich in eine sitzende Haltung hoch. Dann schwang sie ein Bein über das Fensterbrett und wollte auf den Boden springen.
Sie erstarrte, als die Schreibtischlampe plötzlich angezündet wurde. »Oh, nein, bloß das nicht.«
Harry lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und musterte sie unter gesenkten Lidern mit einem unergründlichen Ausdruck in den Augen. »Guten Abend, Augusta. Wie ich sehe, stattest du wieder einmal einen deiner unkonventionellen Besuche ab.«
» Harry. Gütiger Gott, mir war nicht klar, dass du zu Hause bist. Ich dachte, du bliebest heute wieder lange aus.«
»Warum kommst du nicht in die Bibliothek? Es kann nicht schrecklich bequem sein, dergestalt im Fensterrahmen zu sitzen.«
»Ich weiß, was du dir denken musst, aber ich kann alles erklären.«
»Und du kannst dich darauf verlassen, dass du genau das tun wirst. Und
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