Rendezvous
zu erheben. Harry schloss ihre Lippen fest mit seinem Mund, bis sie wieder flach auf dem Rücken lag.
Schon bald erkannte er, dass er den Zeitraum, den er brauchen würde, bis sie bereit war, ihn in sich aufzunehmen, bei weitem überschätzt hatte. Es waren noch keine fünfzehn Minuten vergangen, als er eine verblüffte Augusta auf den Bauch drehte und sie in eine kniende Haltung hochzog.
Danach ging Harry das Zeitgefühl verloren, aber als Augusta ihre süße Melodie sinnlicher Erlösung in das Kissen summte, war er ziemlich sicher, dass ihre Gedanken nicht mehr nur um Verantwortung und Pflichtbewusstsein kreisten.
Am folgenden Morgen machte sich Augusta, die ein kanariengelbes Straßenkleid und einen passenden französischen Hut mit einer riesigen, anmutig geschwungenen Krempe trug, auf die Suche nach ihrer neuen Stieftochter.
Sie fand sie im Schulzimmer im zweiten Stock des großen Hauses. Meredith, die ein anderes gut gearbeitetes, aber extrem schlichtes weißes Kleid trug, saß an einem alten hölzernen Pult mit Tintenflecken. Sie hatte ein aufgeschlagenes Buch vor sich liegen und blickte überrascht auf, als Augusta den Raum betrat.
Clarissa Fleming, die ganz vorn im Raum hinter einem enormen Pult thronte, blickte fragend auf und schaute dann finster, als sie sah, wer ihren Alltagsablauf störte.
»Guten Morgen«, sagte Augusta fröhlich. Sie sah sich im Schulzimmer um und betrachtete die Ansammlung von Globen, Landkarten, Schreibfedern und Büchern, mit denen der Raum angefüllt war. Irgendwie sahen alle Schulzimmer gleich aus, dachte sie, ganz ungeachtet, wo sie sich befanden oder welche finanziellen Mittel der Familie zur Verfügung standen.
»Guten Morgen, Madam.«
Clarissa nickte ihrer Schülerin zu. »Begrüße deine neue Mutter mit einem Knicks, Meredith.«
Meredith stand gehorsam auf, um Augusta zu begrüßen. In ihrem ernsten Blick drückten sich eine Spur von Wachsamkeit und mehr als nur ein wenig Unsicherheit aus.
»Guten Morgen, Madam.«
»Meredith«, sagte Clarissa mit scharfer Stimme. »Du weißt, dass seine Lordschaft dich ausdrücklich angewiesen hat, ihre Ladyschaft mit Mama anzureden.«
»Ja, Tante Clarissa. Aber das kann ich nicht tun. Sie ist nicht meine Mama.«
Augusta zuckte zusammen und bedeutete Clarissa Fleming mit einer Handbewegung, sie solle verstummen. »Ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, dass du mich anreden kannst, wie du magst, Meredith. Du darfst mich Augusta nennen, wenn du willst. Du brauchst mich nicht Mama zu nennen.«
»Papa sagt, ich muss es tun.«
»Tja, nun, dein Vater kann manchmal etwas gar zu herrisch sein, beinahe autokratisch.«
Clarissas Augen funkelten missbilligend. «Also, wirklich, Madam.«
»Was heißt autokratisch?« fragte Meredith aus echter Neugier heraus.
»Das heißt, dass dein Vater gar zu gern Befehle erteilt«, erklärte Augusta.
Clarissas Ausdruck verwandelte sich von Missbilligung in blanke Entrüstung. »Madam, ich kann nicht gestatten, dass Sie seine Lordschaft im Beisein seiner Tochter kritisieren.«
»Ich dächte nicht im Traum daran, so etwas zu tun. Ich habe lediglich einen unbestreitbar vorhandenen Aspekt des Charakters seiner Lordschaft hervorgehoben. Selbst wenn er persönlich anwesend wäre, bezweifle ich, dass er diesen Aspekt leugnen würde.« Augusta begann, im Zimmer auf und ab zu laufen.
»Sei doch so gut und schildere mir deinen Lehrplan, Meredith.«
»Morgens werde ich in Mathematik, den alten Sprachen, Naturkunde und dem Umgang mit dem Globus unterrichtet«, antwortete Meredith höflich. «Nachmittags lerne ich Französisch, Italienisch und Geschichte.«
Augusta nickte. »Das ist allerdings eine ausgewogene Auswahl an Studienfächern für ein neunjähriges Mädchen. Hat dein Vater diesen Lehrplan für dich aufgestellt?«
»Ja, Madam.«
»Seine Lordschaft hat großes persönliches Interesse am Lehrplan seiner Tochter«, sagte Clarissa finster. »Er würde jedwede Kritik daran wohl kaum zu schätzen wissen.«
»Nein, höchstwahrscheinlich nicht.« Augusta blieb vor einem Band stehen, der ihr vertraut erschien. »Aha. Was haben wir denn da?«
»Lady Prudence Ballingers Verhaltensmaßregeln für junge Damen «, sagte Clarissa in einem drohenden Tonfall. »Das äußerst lehrreiche Werk Ihrer hochgeschätzten Tante zählt zu Merediths Lieblingsbüchern, nicht wahr, Meredith?«
»Ja, Tante Clarissa.« Meredith machte jedoch nicht den Eindruck, als könnte sie sich übermäßig für das Buch
Weitere Kostenlose Bücher