Rendezvous
Ich meine, Augusta.«
»Ihr wohnt sehr schön, Meredith.«
»Ja, ich weiß.« Meredith lief gemessenen Schrittes auf dem Weg neben Augusta her. Sie trug einen sehr schlichten kleinen Hut, der zu ihrem ebenso unauffälligen Kleid passte.
Es war schwer zu sagen, welche Gedanken ihr wohl durch den Kopf gehen mochten. Meredith hatte ganz offensichtlich Harrys Fähigkeit geerbt, eine undurchschaubare Miene aufzusetzen.
Bisher hatte sich das Kind höflich, aber keineswegs gesprächig gezeigt. Augusta hoffte darauf, der angenehm frische Tag und der Spaziergang würden das Gespräch anregen. Falls alles andere misslang, vermutete sie, dass sie Meredith immer noch auffordern konnte, Antworten auf Mangnalls Historische und verschiedene andere Fragen zum Gebrauch von jungen Menschen aufzusagen.
»Ich habe früher in einem schönen Haus in Northumberland gelebt«, sagte Augusta und schwang den Picknickkorb, den sie trug.
»Was ist daraus geworden?«
»Nach dem Tod meiner Eltern ist es verkauft worden.«
Meredith warf einen erschrockenen Seitenblick auf Augusta. »Deine Mama und dein Papa sind beide tot?«
»Ja. Ich habe sie verloren, als ich achtzehn war. Manchmal fehlen sie mir sehr.«
»Mir fehlt Papa sehr, wenn er endlose Wochen lang fort ist, wie es während des Krieges oft vorgekommen ist. Ich bin froh, dass er jetzt wieder zu Hause ist.«
»Ja, das kann ich mir gut vorstellen.«
»Ich hoffe, er bleibt zu Hause.«
»Ich bin sicher, dass er die meiste Zeit hier sein wird. Ich glaube, dein Vater zieht das Landleben dem Leben in der Stadt vor.«
»Als er zu Beginn der Saison nach London gegangen ist, um sich eine Frau zu suchen, hat er gesagt, das sei eine Notwendigkeit .«
»In etwa so, als müsste man ein Abführmittel nehmen, kann ich mir vorstellen.«
Meredith nickte finster. »Zweifellos. Tante Clarissa hat mir gesagt, er müsste sich eine Frau suchen, weil er einen Erben braucht.«
»Dein Vater ist sich seiner Pflichten sehr klar bewusst.
»Tante Clarissa hat gesagt, er würde bestimmt eine mustergültige Frau finden, einen Ausbund an weiblicher Tugend, der in die illustren Fußstapfen meiner Mutter tritt. «
Augusta erstickte ein Stöhnen. »Eine schwierige Aufgabe. Ich habe das Porträt deiner Mutter letzte Nacht in der Galerie gesehen. Sie war, wie du schon gesagt hast, wirklich sehr schön.«
»Das habe ich dir doch gesagt.« Meredith zog die Stirn in Falten. »Papa sagt jedoch, Schönheit sei nicht alles, worauf es bei einer Frau ankommt. Er sagt, dass es noch andere, wichtigere Dinge gibt. Er sagt, eine tugendhafte Frau ist von größerem Wert als Rubine. Ist das nicht eine hübsche Formulierung? Papa kann sehr gut schreiben, verstehst du?«
»Ich möchte dir deine Illusionen nicht rauben«, murmelte Augusta, »aber dein Papa hat diese Formulierung nicht selbst erfunden.«
Meredith zuckte anscheinend ungetrübt die Achseln. »Er hätte sie erfinden können, wenn er es gewollt hätte. Papa ist sehr klug. Er hat früher die kompliziertesten Wortspiele gespielt, die man je zu sehen bekommen hat.«
»Ach, wirklich?«
Meredith begann endlich, eine gewisse echte Begeisterung an den Tag zu legen, als sie sich für eines ihrer Lieblingsthemen erwärmte, ihren Papa. »Als ich noch klein war, habe ich eines Tages gesehen, wie er in der Bibliothek gearbeitet hat, und ich habe ihn gefragt, was er da tut. Er hat gesagt, dass er ein sehr wichtiges Rätsel löst.«
Augusta legte neugierig den Kopf zur Seite. »Wie hieß das Spiel?«
Meredith zog die Stirn in Falten. »Ich kann mich nicht erinnern. Es ist schon lange her. Ich war damals noch ein Kind. Ich kann mich nur noch erinnern, dass es etwas mit einem Spinnennetz zu tun hatte.«
Augusta schaute auf Merediths Hut herunter. »Mit einem Spinnennetz? Bist du ganz sicher?«
»Ich glaube, ja. Warum?« Meredith hob den Kopf, um zu Augusta aufzublicken. Kennst du das Spiel?«
»Nein.« Augusta schüttelte bedächtig den Kopf. »Aber mein Bruder hat mir einmal ein Gedicht geschenkt, das den Titel >Das Spinnennetz getragen hat. Ich fand dieses Gedicht immer sehr seltsam. Ich habe es nie wirklich verstanden. Ich habe genau genommen sogar nie gewusst, dass mein Bruder Gedichte geschrieben hat, bis er mir diese seltsamen Verse gegeben hat.«
Es war nicht nötig, die Tatsache zu erwähnen, dass das Blatt Papier, auf das das Gedicht geschrieben war, unauslöschlich mit dem Blut ihres Bruders befleckt gewesen war und dass die Verse eher unerfreulich gewesen
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