René Schnitzler. Zockerliga: Ein Fußballprofi Packt Aus
aufs Feld. Da liegt St. Pauli 1:2 zurück. Vorher allerdings, in der ersten Halbzeit, ist den beiden St. Pauli-Spielern Ralph Gunesch und Marcel Eger jeweils ein offenbar unabsichtliches Handspiel im eigenen Strafraum unterlaufen. Beide Handspiele waren unschwer zu erkennen, der Schiedsrichter Thomas Metzen pfiff jedoch nicht. Komisch sei das schon gewesen, gibt Marijo Cvrtak später in Bochum zu Protokoll. Er habe damals gedacht, vielleicht habe das Frühwarnsystem gegriffen, der Schiedsrichter wäre informiert gewesen und hätte dementsprechend gehandelt.
In der letzten Spielminute gleicht die Gastmannschaft aus. Der Abwehrspieler Carsten Rothenbach ist bei einer Ecke mit nach vorne gegangen und trifft mit dem rechten Fuß zum 2:2. Aus Sicht von Paul Rooij hat Schnitzler erneut nicht Wort gehalten.
Dass Rooij und auch er selbst durch das Unentschieden in Mainz kräftig verloren haben, gibt Marijo Cvrtak bei seiner Vernehmung zu. Aufgrund der vier erzielten Treffer wurde nur die Übertore-Wette gewonnen. Er rief Rooij an und jammerte ihm vor, dass die Manipulation nicht komplett funktioniert habe. Rooij, erinnert sich Cvrtak, habe nur geschimpft: »Ach, diese Penner!«
Uli Hamanns, der sonst eher ein gemütlicher Typ ist, gerät nach dem Unentschieden in Mainz in höchste Aufregung. »›Sieh zu, dass du abhaust‹, sagte er mir am Telefon«,
erzählt Schnitzler. »Ich hatte gerade geduscht und bin mit meinem Handy aus der Kabine heraus und wieder zur Auswechselbank ins leere Stadion gegangen. Paul würde seine Leute schicken, meinte Uli, der sei in Rage, weil er zwei Millionen verloren habe. Aber so richtig Angst konnte mir das nicht machen. Ich war jetzt in Deutschland, mit dem Verein unterwegs. Holland war weit.«
Über Hamanns erreichen Schnitzler noch zwei Drohanrufe. 400 000 Euro schulde Schnitzler ihm jetzt, warnt Rooij. Er hat auch die 60 000 Euro eingerechnet, die er mal für Schnitzler gesetzt hat. Ende August 2008 war das, Schnitzler hatte Rooij angewiesen, für ihn beim Bundesligaspiel Wolfsburg gegen Frankfurt auf Heimsieg zu wetten. »Die Wolfsburger wurden in der Saison Deutscher Meister, aber gegen Frankfurt haben die zu Hause nur ein 2:2 geschafft. Da hatte ich echt Pech«, sagt Schnitzler.
Später verlangt der Wettpate, dass Schnitzler in die zweite Schweizer Liga zum FC Gossau wechsle. Da solle er helfen, für die richtigen Ergebnisse zu sorgen, und so seine Schulden bei ihm abarbeiten. Schnitzler lehnt ab. Danach lässt Paul ihn in Ruhe. Nur einmal noch treffen die beiden zusammen.
DER PATE SPRICHT
Amsterdam, Flughafen Schipohl, ein Samstagnachmittag Anfang Januar 2011. Auch hier liegt der »stern« mit dem Report »Das Spiel ist aus« am Kiosk. Am Dienstagmorgen schon hatte das Magazin die wichtigsten Fakten des Artikels an die Öffentlichkeit gegeben. Deutschland, Zweite Liga, Wettskandal. Ein Pate aus Holland, ein deutscher
Stürmer, fünf Spiele im Visier der Staatsanwaltschaft. Die Nachrichtenagenturen hatten aus den Neuigkeiten Meldungen gemacht, und bald belagerten Fernsehteams die Geschäftsstelle des FC St. Pauli. Auch Zeitungsredaktionen meldeten sich, wollten mehr wissen, den ganzen Artikel lesen, fragten nach Bildern und nach Telefonnummern – auch nach der von Paul.
Wenn eine Redaktion eine exklusive Geschichte veröffentlicht, gibt sie oft am Tag vorher die wichtigsten Fakten der Recherche bekannt. Das entfacht dann, wenn die Neuigkeit allgemein für interessant gehalten wird, einen medialen Trommelwirbel und wirbt so für das Medium und dessen journalistische Leistung. Im Fall Schnitzler und St. Pauli brachte es den Wettskandal, der seit Monaten am Landgericht Bochum verhandelt wird, im Sportteil aber meistens auf den hinteren Seiten vorkam, ins Bewusstsein der Fußballfans. Nicht nur an belgische und Schweizer Zweitligisten, nicht nur an Teams auf dem Balkan machten die Betrüger sich heran. Sie hatten auch deutsche Zweitliga-Teams ins Visier genommen. Traditionsmannschaften gar wie den FC St. Pauli, der zu diesem Zeitpunkt in der Bundesliga kickte und dessen Anhängerschaft zum Teil besonders kritisch eingestellt ist gegenüber der Kommerzialisierung des Fußballs und all deren Begleiterscheinungen.
René Schnitzler entschloss sich, erst einmal keine weiteren Interviews zu seiner Beziehung zu Paul Rooij zu geben. Sein Kumpel Uli Hamanns war noch nicht öffentlich benannt, im »stern« hatte man seinen Namen geändert. Bekannt aber war nun Paul Rooij, der Pate aus
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