Renner & Kersting 03 - Mordsgier
Figur und ließ viel von den langen Beinen sehen. Sie schien mindestens zehn Jahre jünger zu sein als ihr Mann, vielleicht auch mehr. Das wagte er nicht zu entscheiden. Ihr Gesicht zeigte eine fahle Blässe, aber das konnte auch ihrem Make-up zu verdanken sein. Sehr gerade stand sie noch immer in der Haustür und versperrte ihm den Weg ins Innere. Da sie bis an den Rand der Treppe vorgetreten war, war er gezwungen, auf einer der unteren Stufen stehen zu bleiben. Von oben musterte sie ihn wie ein lästiges Insekt, wobei ihr Blick an der neuen Krawatte hängen blieb, ein Weihnachtsgeschenk von Helga.
Kersting beobachtete sie, während ein aufdringliches Parfüm seine Nase ärgerte, und kam zu dem Schluss, dass sie mehr Wut als Trauer empfand. Aber wenn die Trauer fehlte, hatte die Zils womöglich recht mit ihrer Behauptung, dass die Ehe der beiden zerrüttet war und der Mann sich hatte trennen wollen. Doch so vorschnelle Schlüsse durfte er nicht ziehen, ermahnte er sich selbst. Würde er Daniela Wohlfangs Kummer Glauben schenken, würde er sich diskret verabschiedet haben, um später zurückzukommen. Aber sie wirkte nicht überzeugend auf ihn. Also wartete er ab. Endlich schienen die wenigen Tränen versiegt, die Wut unter Kontrolle.
»Also gut, kommen Sie rein.« Frau Wohlfang seufzte noch einmal dramatisch und bat ihn mit scheinbar kraftloser Geste in die Wohnung.
Nach ein paar höflichen, entschuldigenden Worten begann Kersting mit den Fragen, die ihn wirklich interessierten. »Sie und Ihr Mann standen sich nicht mehr so nah?«
»Wie kommen Sie denn darauf? Wir haben uns geliebt.« Wieder ein Schluchzer, wieder zückte sie ihr Taschentuch.
»Ich hörte, Ihr Mann wollte sich scheiden lassen.«
»So ein Unsinn! Wer hat Ihnen das denn weisgemacht?« Ihre Augen funkelten böse. Taschentuch und Tränen schienen vergessen.
»Kennen Sie eine Frau Christina Zils?«
»Hat die das etwa behauptet? Warum tut sie so etwas? Nein, ich kenne die Frau nicht. Den Namen habe ich nie gehört. Mein Mann liebte mich – und nur mich. Gleichgültig, was andere sagen.« Sie äußerte das so vehement, als wollte sie nicht nur den Kommissar, sondern auch sich selbst überzeugen. »Wir waren glücklich miteinander. Daran konnte auch ein One-Night-Stand nichts ändern. Und mehr bedeuteten ihm andere Frauen nicht.«
»Gab es das öfter? One-Night-Stands meine ich.«
»Was denken Sie von meinem Mann? Natürlich nicht. Sicher, wenn er allein unterwegs war oder etwas getrunken hatte, handelte er wie jeder Mann. Aber wie gesagt, diese Affären bedeuteten ihm weniger als nichts.«
Auf seine Frage nach möglichen Feinden antwortete sie eher ausweichend: »Natürlich gab es neidische Kollegen, mein Mann war schließlich sehr beliebt. Wenn er eine Klasse verabschiedete, wurde er jedes Mal reich beschenkt. Vielleicht mochten ihn Schüler nicht, die mit ihren Zensuren unzufrieden waren, aber das haben sie schließlich sich selbst zu verdanken, und die würden deswegen doch auch niemanden umbringen, oder doch?«
Es wäre nicht das erste Mal. Kurz dachte er an die Ereignisse in Erfurt und Freising. Könnte es sein, dass sich auch hier ein Schüler hatte rächen wollen? Immerhin ein Motiv, das er im Auge behalten sollte.
»Erzählen Sie mir mehr über Ihren Mann! Wie war er so?«
»Er war ein guter Mensch.«
Und damit musste er sich zufrieden geben. Mehr bekam er nicht aus ihr heraus. Folglich wechselte er das Thema.
»Was können Sie mir über die Kaffeemischung Ihres Mannes sagen?«
»Ach, die stellte er immer selbst her. Da ließ er niemanden ran. Er gab noch ein paar mehr Zutaten hinzu als ursprünglich hineingehörten. Kardamom, Muskat, Galgant, manchmal sogar ein paar Tropfen Rum.« Ins Kaffeepulver? Der Kommissar wunderte sich und beschloss, das einmal auszuprobieren. Vielleicht mit Helga. Experimente dieser Art interessierten sie immer. Inzwischen fuhr Daniela fort. »Keine Ahnung, was er da sonst noch reintat. Ich hab’ mich nie darum gekümmert. Das Zeug konnte doch kein Mensch trinken.«
»Wie kam er darauf?«
»Als wir vor Jahren mal in Mexiko waren, kam er auf den Geschmack. Und da der Kaffee in der Schule immer knapp bemessen ist und er häufig nichts mehr abkriegte, trank er eben seine eigene Mischung. Und die ist so speziell, dass er nicht befürchten musste, dass da irgendjemand drangehen würde.«
Da hatte sie wohl recht.
Zurück im Präsidium, fand er die Berichte von Technik und Gerichtsmedizin vor. Auf der
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