Rentner-WG - ein Best-Ager-Roman aus Frankfurt
dass Sie da sind, Chef. Da sitzt einer in Ihrem Büro und wartet. Schon seit einer Stunde. Der ist mir nicht geheuer.“
Sie schaute ihn ängstlich an.
„Du weißt doch, dass du niemand reinlassen sollst, wenn ich nicht da bin.“
Verärgert riss Bernd seine Bürotür auf. Ein Mann schoss von der Sitzecke hoch. Er war jenseits der Fünfzig, und sein zerfurchtes, blasses Gesicht ließ auf ein akutes Magengeschwür schließen.
„Herr Köhler, nur zwei Minuten. Das können Sie mir nicht verwehren.“
Bernd hatte ein gutes Gedächtnis.
„Die Zwangsräumung in der Ludwigstraße.“
„Ja genau. Der Termin ist heute, und ich wollte um Aufschub bitten. Ich hab Arbeit in Aussicht. Sie kriegen alles auf Heller und Pfennig zurück. Sie können uns doch nicht das Dach über dem Kopf wegnehmen. Das würde meine Frau nicht überleben.“
Bernd hatte hinter seinem Schreibtisch Platz genommen und blätterte gelangweilt in seinem Terminkalender. Der Besucher trat näher und griff nach dem Hörer der Telefonanlage. Flehend streckte er ihn Bernd entgegen.
„Bitte! Nur ein kurzer Anruf!“
„Raus hier“, kam die Antwort leise und drohend.
Der Mann legte den Hörer wieder zurück, drehte sich um und schlich mit hängenden Schultern hinaus. Sandi sah ihm nach.
„Gib den Kaffee her. Und hol mir ein Schinkencroissant, ich hab noch nicht gefrühstückt.“
Sie zuckte zusammen und stellte die Tasse auf den Schreibtisch.
„Der sieht ja schrecklich aus“, murmelte sie mitleidig.
Bernd trank einen Schluck.
„Es gibt nur zwei Sorten von Menschen. Der da gehört zu den Verlierern. Aus dem wird nie was. Wir haben keine Zeit, uns mit Parasiten zu befassen. Das verstehst du doch?“
Sandi mochte ihren Chef, auch wenn er ihr manchmal etwas herzlos vorkam. Sie nickte langsam.
„Na also. Nun sei ein braves Mädchen und geh zum Bäcker. Ich habe Hunger.“
Als sie zur Tür ging, betrachtete er ihre langen Beine. Sandi war mehr Augenweide als Sekretärin. Aber Bernd war der Meinung, dass sie hauptsächlich für guten Kaffee zu sorgen hatte. Die wirklich wichtigen Dinge erledigte er stets selbst. Zufrieden biss er ein paar Minuten später in sein Croissant.
„Bring mir noch die Post und die Anrufzettel rein. Und dann setz dich wieder raus und halt uns die Schurken vom Leib.“
Sandi lachte schon wieder. Ihr Chef hatte immer einen flotten Spruch drauf. Die Arbeit war überschaubar, und über ihre privaten Telefonate sah er großzügig hinweg. Sie warf ihm einen schmachtenden Blick zu und verschwand.
Grinsend trank er einen Schluck Kaffee und widmete sich der Arbeit. Er zerknüllte einen Zettel nach dem anderen und beförderte ihn mit einem gezielten Wurf in den Papierkorb. Es war nichts Interessantes dabei bis auf einen Anruf aus einem südwestlich gelegenen Stadtteil.
In dem ehemaligen Dorf Niederrad, das Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in Frankfurt eingemeindet worden war, entstanden nach dem zweiten Weltkrieg viele Einfamilienhäuser und Mietbauten. Die Pendler fuhren mit der Straßenbahn zur Arbeit die Kinder zu den weiterführenden Schulen, meist nach Sachsenhausen. Ein paar Geschäfte und Kneipen und natürlich die Rennbahn, mehr gab es nicht an Attraktionen. In die Reihen der ehrwürdigen Zickzackhäuser fraß der Zahn der Zeit Lücken, die mit Neubauten aufgefüllt wurden. Selbst vom barocken Frauenhof war nicht viel mehr als der Torbogen übrig. Später kamen die Gastarbeiter, meist Türken und Asiaten, und mit ihnen ein paar neue Läden. Nur schwer gewöhnten sich die alt eingesessenen Niederräder an den Schmelztiegel der Kulturen und Hautfarben, der offenbar in einer Metropole wie Frankfurt unvermeidbar war. Aber im Wesentlichen hielt der Stadtteil einen schon lange dauernden Dornröschenschlaf, obwohl er nur wenige Kilometer von Römer und Paulskirche entfernt lag.
Mehr zufällig war Bernd Köhler auf Niederrad aufmerksam geworden. Noch waren die Immobilienpreise moderat, verglichen mit anderen Locations. Wie ein Hai umkreiste er von da an seine Beute und verleibte sich Stück für Stück ein.
Nur wenige Leute wussten von der geplanten Änderung im Bebauungsplan. Köhler hatte an den richtigen Stellen gedreht und manchmal einen Umschlag unter dem Tisch weitergereicht. Er hatte bereits einige Immobilien recht günstig erworben. Das dicke Ding wuchs und gedieh prächtig. Noch konnte Köhler unbemerkt agieren, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis auch andere aufmerksam wurden. Deshalb hatte er ein Netz
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