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Reptilia

Reptilia

Titel: Reptilia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Brazzaville erlebt hatte.
    Ich schrie auf.
    Der zähe, stinkende Speichel brannte wie Feuer auf meiner Haut und in den Augen. Ich spürte, wie er mir seitlich übers Gesicht lief und auf meine Schultern tropfte. Ich zerrte und rüttelte an meinen Fesseln, doch sie ließen meine Hände noch immer nicht freikommen. Dabei hatte ich nur noch den Wunsch, mir das eklige Zeug aus den Augen zu wischen. Warum hatte er das getan? Die Botschaften, die ich empfangen hatte, waren doch freundlich gewesen, voller Mitgefühl. Vielleicht hatte ich mich doch geirrt und mir die telepathischen Kräfte nur eingebildet. Vielleicht war auch die Sache mit dem durchgebissenen Kabel nur eine Illusion gewesen, ein Wunschtraum …
    Wenn das stimmte, dann würde Maloney jeden Moment die Sprengladung zünden, denn so dicht wie jetzt würde Mokéle mir nie wieder kommen. Der Schmerz in meinem Gesicht vertrieb die Gedanken. In den letzten Sekunden hatte sich ihre Intensität bis an die Grenzen des Erträglichen gesteigert. Ich schrie auf. In diesem Augenblick größter Verzweiflung erblickte ich einen schmalen Lichtstreif. Es war zuerst nur ein hauchdünnes Band aus vielfarbigem Licht, doch es wurde zusehends größer. Zuerst glaubte ich, es sei eine Täuschung, doch so sehr ich mich auch drehte und wendete, der Streifen blieb. Von Sekunde zu Sekunde wurde er heller und klarer. Jetzt konnte ich sogar etwas erkennen. Ich glaubte meine Beine und meine Füße zu sehen, die immer noch in den Wanderstiefeln steckten. Ich sah das schimmernde Wasser und die Nebelschwaden, die sich darüber gebildet hatten. Ich erkannte die Sprengladungen, auf denen ich saß, die Schwimmer unserer alten Beaver. Das geradezu Unglaubliche aber war, dass ich das alles mit meinen eigenen Augen sah. Und im selben Moment, in dem ich mein Augenlicht zurückerhielt, schwanden die Schmerzen. Ich hob den Kopf und sah Mokéle m’Bembé direkt über mir. Die geschlitzten Pupillen blickten mit größter Gelassenheit auf mich herab. Wie die Augen eines Künstlers, der sein Werk begutachtete.
    Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag: Das Relief im Tempel … die kranken, siechen und bettlägerigen Menschen, die sich heilen lassen wollten … die Tränen, die das Reptil vergoss … es entsprach alles der Wahrheit. Allerdings waren es nicht nur die Tränen, die eine heilende Wirkung besaßen, es war auch der Speichel. Er schien eine regenerative Wirkung auf Zellen zu haben, ein Effekt, der mit Sicherheit in seinen veränderten Genen begründet lag. Diese Gene schienen auch die Ursache für die enormen Selbstheilungskräfte zu sein, über die Mokéle verfügte und die bewirkten, dass selbst schwere Verletzungen sich binnen Sekunden schlossen.
    Ich lächelte, denn auf einmal hatte das Wesen alles Schreckliche verloren. Auf einmal sah ich es mit denselben Augen, mit denen es die Baumeister des Tempels gesehen hatten.
    Mokéles langer Hals bog sich vor, und sein mit Zähnen gespicktes Maul kam mir gefährlich nah. Trotzdem verspürte ich keine Angst. Es gab einen kurzen Ruck, dann hatten seine Zähne den Metallträger gekappt. Ich konnte meine Hände wieder bewegen, und es war ein Leichtes, die Fesseln an den scharfen Kanten des durchbissenen Metalls zu zerschneiden.
    Mokéle gab noch ein dumpfes Grunzen von sich, dann wandte er sich ab und verschwand in den Tiefen seiner Heimat. Ich saß da, zu einer Salzsäule erstarrt, und blickte fassungslos auf meine Hände. Es war ein Wunder, das ich soeben erlebt hatte. Minutenlang saß ich einfach nur da und blickte hinaus in die Nacht. Wäre ich aufmerksamer gewesen, hätte ich das Boot eher wahrgenommen, das sich lautlos von hinten näherte. Es geschah alles mit blitzartiger Geschwindigkeit, und als ich mich umdrehte, war es bereits zu spät.

35
    »Guten Abend, Mr. Astbury«, sagte eine nur allzu vertraute Stimme. Ich wirbelte herum.
    »So trifft man sich wieder.«
    »Maloney!« Das war alles, was ich stammeln konnte.
    »Wie ich sehe, haben Sie mich nicht vergessen. Ich muss gestehen, ich fühle mich geschmeichelt.« Er presste seine Hände vor die Brust und verbeugte sich spöttisch. »Ich habe Sie natürlich ebenfalls nicht vergessen.« Er blickte sich misstrauisch um. »Wo ist das Biest? Ich hatte aus der Ferne den Eindruck, es würde Sie bei lebendigem Leibe verspeisen. Nun, da habe ich mich wohl getäuscht. Wie haben Sie es nur geschafft, sich zu befreien und meine kleine Konstruktion zu sabotieren? Und vor allem, weshalb können Sie wieder

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