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Reptilia

Reptilia

Titel: Reptilia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Richtung Zollkontrolle entwischen konnte.
    Dort stieß ich auf das erste größere Hindernis. Es trat in Form eines bulligen, zwei Meter großen Sicherheitsoffiziers an mich heran und gab mir mit seiner gesamten Ausstrahlung zu verstehen, dass mit ihm nicht zu spaßen sei. Er signalisierte mir, die Arme zu heben und die Beine zu spreizen, was ich natürlich sofort tat. Trotzdem hatte ich, während er mich abtastete, das Gefühl, als würde er sich schon allein durch meine Anwesenheit provoziert fühlen. Er redete in einer Sprache auf mich ein, die ich nicht verstand. Ich bin gewiss kein Sprachgenie, aber neben Französisch und Italienisch verfüge ich noch über rudimentäre Sprachkenntnisse in Suaheli, ein Relikt aus meiner Zeit in Tansania. Nichts davon half mir weiter. Wahrscheinlich handelte es sich um Kikongo oder Lingala, eine der beiden Landessprachen. Vielleicht sollte ich ihn auch gar nicht verstehen, sondern mich nur unwohl fühlen. Falls das in seiner Absicht lag, so hatte er Erfolg. Irgendwann griff er in meine Hemdtasche und zog meinen Kugelschreiber heraus, mit dem er mir vor der Nase herumfuchtelte. Er klang nun deutlich lauter und aggressiver. Bald gesellte sich ein kleinerer Mann zu uns, der mir den Wortschwall in akzentfreies Französisch übersetzte.
    »Er fragt Sie, wie es Ihnen gelungen ist, eine Waffe an Bord zu schmuggeln.«
    »Wie bitte? Das ist mein Kugelschreiber, mit dem ich seit Jahr und Tag schreibe. Wer kommt auf die Idee, dass ich den als Waffe einsetzen könnte?«
    Der Große hielt mir den Stift vor die Nase und tippte mit dem Finger auf die Spitze. Anscheinend hatte er jedes meiner Worte verstanden.
    »In unserem Land wären Sie damit nicht durch die Kontrollen gekommen«, erläuterte der Kleine.
    »Jeder Zahnstocher ist gefährlicher als das da«, protestierte ich. »Aber jetzt bin ich schon mal da. Was wollen Sie machen, mich wegen eines Kugelschreibers wieder zurückschicken?« Noch während ich das sagte, merkte ich, dass ich einen Fehler begangen hatte. Der große Wachmann versteifte sich, packte mich am Arm und zog mich mit sich. Der andere lief nebenher und setzte eine amtliche Miene auf. »Wir müssen Sie einer Routineuntersuchung unterziehen«, sagte er. »Nichts Aufregendes, nur die Kontrolle Ihrer Papiere, Impfzeugnisse und Einreisevisa. Ich hoffe, Sie haben alles griffbereit. Bitte folgen Sie uns, ohne Widerstand zu leisten.«
    Mir war die Sache mehr als peinlich, und als ich das schadenfrohe Gesicht des Kunsthändlers sah, wäre ich vor Scham am liebsten im Boden versunken. Die Wachmänner führten mich in ein spartanisch eingerichtetes Büro und schlossen die Tür. Der Große pflanzte sich sogleich davor, damit ich ja nicht auf die Idee kam, auszubüxen. Der andere nahm währenddessen auf der gegenüberliegenden Seite des nikotinfleckigen Resopaltisches Platz. Hinter ihm hing ein Porträt des amtierenden Regierungschefs, Denis Sassou-Nguesso. Mit einer knappen Handbewegung bot er mir einen Stuhl an. Plötzlich wurde mir klar, dass er derjenige war, der in Wirklichkeit das Sagen hatte. Wortlos streckte er mir seine Hand hin, eine Geste, die ich sofort verstand. Ich händigte ihm sämtliche Papiere aus, denn ich fühlte, dass dies nicht der rechte Augenblick war, um den bockigen Touristen zu spielen.
    Schon als er mein Impfbuch öffnete, merkte ich, dass mir Ärger bevorstand. Er schüttelte den Kopf und befingerte das Dokument, als würde eine ansteckende Krankheit von ihm ausgehen.
    »Das sieht leider nicht gut aus«, bemerkte er nach einer Weile. »Ihre Impfbescheinigung ist unvollständig.«
    »Ist doch nicht möglich«, widersprach ich energisch. »Die Impfungen wurden exakt nach den erforderlichen Standards durchgeführt. Ich habe die Liste selbst gesehen.«
    Wieder blätterte er die Seiten durch. »Und wo ist der Cholera-Bescheid? Ich kann ihn nicht finden.« Er warf mir das Impfbuch mit einer lässigen Bewegung über den Tisch.
    »Cholera? Die Impfung ist nach den aktuellen Bestimmungen der WHO gar nicht notwendig. Es gibt keine Fälle von Cholera im Kongo.«
    »Das sagen Sie. Uns liegen andere Informationen vor. Ich darf Sie nicht in unser Land lassen. Zu Ihrem eigenen Schutz, wohlgemerkt. Tut mir leid, aber Sie müssen nach London zurück.«
    Er zuckte mit den Schultern in einer Geste gespielten Bedauerns.
    Ich spürte, wie mir der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. »Aber es muss doch eine Möglichkeit geben. Vielleicht, dass ich die Impfung hier erhalte.

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