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Reptilia

Reptilia

Titel: Reptilia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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sagte mein Nachbar mit einem Glitzern in den Augen. »Der Fluss, der alle Flüsse schluckt. Das Grab des Weißen Mannes. So wurde er bei seiner Entdeckung genannt. Wussten Sie, dass die gesamte Region nur deshalb so spät erforscht wurde, weil der Kongo nicht schiffbar war? Der gesamte Unterlauf bestand auf einer Länge von etwa dreihundert Kilometern aus Strudeln, Katarakten, Wasserfällen und Stromschnellen und bildete ein unüberwindliches Hindernis in der damaligen Zeit. Nur ein paar wirklich hartgesottene Missionare und Forscher schafften es, ins Innere vorzudringen, zu Fuß, wohlgemerkt, aber auch da warteten unzählige Gefahren auf sie. Nur den Wenigsten gelang es, mit heiler Haut zurückzukehren. Selbst heute noch ist der Kongo für seine Tücken bekannt. Trotzdem lieben wir den Fluss. Er ist die Hauptschlagader unseres Kontinents, erhält die gesamte Region am Leben. Ohne ihn gäbe es hier nichts.« Er sah mich neugierig an. »Sie haben mir noch gar nicht erzählt, was Sie eigentlich in unser Land führt. Und erzählen Sie mir nicht, Sie wären ein Tourist. Im Kongo gibt es nämlich keine Touristen.«
    Ich hatte auf diese Frage schon lange gewartet und mich entsprechend gewappnet. »WCS, Wildlife Conservation Society«, log ich. »Eine biologische Forschungsexpedition in den Ndoki-Nationalpark.«
    Ich spürte, wie er sich versteifte. »Sie nehmen mich auf den Arm.«
    »Keineswegs«, erwiderte ich und lehnte mich entspannt zurück. »Es ist ein groß angelegtes Projekt mit dem Ziel, die Bestände der Waldelefanten zu ermitteln. Die Franzosen sind beteiligt, die Amerikaner und natürlich wir. Wir genießen die volle Unterstützung seitens der Regierung«, fügte ich noch hinzu, aber das war schon nicht mehr nötig. Der erste Schlag hatte bereits gesessen. Für die letzten Minuten unserer Reise wurde der Kunsthändler sehr einsilbig. Und er hat doch Dreck am Stecken, dachte ich, sonst hätte er souveräner reagiert. Ich versuchte noch ein-, zweimal das Gespräch wieder aufleben zu lassen, aber es war vergebens. Selbst als das Flugzeug unter dem Beifall der Passagiere butterweich aufsetzte und den Runway entlang zu dem pseudofuturistischen Hauptgebäude des Maya-Maya International Airport fuhr, vermied er jeden Blickkontakt. Von seinem Schmuck war keine Spur mehr zu sehen, denn er hielt seine Hände auffallend gewissenhaft unter seinem Burnus verborgen. Um ehrlich zu sein, er interessierte mich auch nicht mehr, denn ich war viel zu sehr damit beschäftigt, die neuen Eindrücke aufzusaugen, die sich draußen vor dem Fenster boten. Eigentlich gab es nichts Spektakuläres zu sehen, nur ein paar flache, rostige Wellblechgebäude am Rande des Rollfelds, Betonplatten, zwischen denen Grünzeug wucherte, und dichte hohe Baumreihen jenseits des Maschendrahtes. Trotzdem war dieser Anblick von einer Fremdheit, die mich sofort in ihren Bann schlug.
    Als das Flugzeug stoppte, ging das große Gedränge los. Da ich kein Handgepäck aus einem der oberen Verschläge holen musste, und zudem sehr weit vorne saß, gelang es mir, das Flugzeug als einer der Ersten zu verlassen. Auf der silbernen Treppe hielt ich kurz inne. Die Hitze schlug mir entgegen wie eine Mauer. Es mochte um die fünfunddreißig Grad warm sein, und sofort bildete sich ein Schweißfilm auf meiner Haut. Die Luftfeuchtigkeit war beinahe mit Händen zu greifen. In der Luft lag der Geruch von Moder und verrottenden Pflanzen. Wie im Tropenhaus des Londoner Zoos, dachte ich, während ich die Treppe hinunterstieg und zum Shuttlebus ging. Ich mochte diesen Duft und seine belebende Wirkung.
    Im Nu war das wackelige Gefährt voll und fuhr schlingernd Richtung Hauptgebäude. Ich bemerkte, dass es hier von bewaffneten Militärs nur so wimmelte. Junge Burschen, achtzehn bis zwanzig Jahre alt, die ihre Kalaschnikows im Anschlag hielten und nur darauf zu warten schienen, dass irgendetwas passierte. Es wurde nicht besser, als wir das Gebäude betraten. Sie waren praktisch überall, an jedem Durchgang, jeder Tür, jeder Treppe und vor allem an der Gepäckausgabe. Dort stand ein ganzer Pulk. Und was das Schlimmste war, sie schienen mich zu beobachten. Mir kam es vor, als würden mich ihre Blicke überallhin verfolgen. Vielleicht weil ich zu diesem Zeitpunkt der einzige Weiße war, vielleicht aber auch, weil ich mich so fehl am Platze fühlte. Sie riechen meine Angst, schoss es mir durch den Kopf. Ich war froh, als ich endlich meine beiden Reisetaschen in den Händen hielt und

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