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Reptilia

Reptilia

Titel: Reptilia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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schon«, gab ich zu. »Dann werde ich mich mal fertig anziehen.« Kaum hatte ich das gesagt, entdeckte ich eine Bewegung im Gebüsch. Egomo war wieder da. Er stand am Ufersaum und bedeutete uns, ihm zu folgen.
    »Tun Sie das«, sagte Maloney. »Sie haben fünf Minuten. Und beginnen Sie mit den Stiefeln. Erst vorhin habe ich eine Gabunviper gesehen, gleich da vorn, hinter dem Elefantengras.«
     
    *
     
    Etwa eine Stunde später befanden wir uns mitten im tiefsten Dschungel. Egomo lief voraus, danach folgten ich und Sixpence, während Elieshi und Maloney das Schlusslicht bildeten. Die smaragdene Luft war erfüllt von den Geräuschen unzähliger Waldbewohner. Ihr Pfeifen, Zwitschern und Grunzen pulsierte, schwoll an und steigerte sich zu einem infernalischen Crescendo, ehe es verstummte und wieder von neuem begann. Fast hätte man meinen können, die Klänge selbst seien eigenständige Lebewesen.
    Durch das dichte Dach der Baumkronen fiel hin und wieder ein gleißender Lichtstrahl, der das Dämmerlicht am Boden des Urwalds durchbrach und ein Blatt, eine Blüte oder eine grellbunte Schmarotzerpflanze streifte und überdeutlich hervorhob. Leider fehlte mir die Zeit für längere Betrachtungen, denn unser Führer hastete trotz seiner Verletzung mit einem atemberaubenden Tempo durch das Unterholz. Dabei bewegten sich seine Füße so schnell, dass sie vor meinen Augen zu verschwimmen begannen. Ich hatte Mühe, ihm zu folgen, und mehr als einmal wurde er vom Dämmerlicht verschluckt. Hätten wir ihn wirklich verloren, es wäre katastrophal gewesen. Ich hatte zwar den Kompass meines Vaters dabei, ein Erbstück, das ich überall mit hin nahm, aber der hätte uns nur unzureichend helfen können. Der Wald sah hier überall gleich aus. Es gab keine erkennbaren Wege oder Pfade, keine Orientierungspunkte, nicht einmal die Sonne hätte uns hier unten helfen können. Glücklicherweise wartete Egomo immer wieder auf uns, auch wenn ihn unsere Langsamkeit sichtlich verärgerte. Dann stand er da, schüttelte den Kopf und murmelte ungehalten vor sich hin. Ich hingegen bewunderte, wie perfekt er in Farbe und Körperbau dem Urwald angepasst war. Trotz der Verletzungen waren seine Bewegungen geschmeidig. Seine Füße schienen jedes Hindernis schon von weitem zu erkennen und zu umgehen. Manchmal hielt er an und lauschte in die Dämmerung, während sein Körper in absoluter Regungslosigkeit verharrte. Dann glich er eher einem Stück Holz als einem Menschen.
    »Dieser Dschungel ist die Pest«, hörte ich Sixpence neben mir schimpfen, als wir mal wieder eine Pause einlegten. »Alles hier ist Lug und Trug.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Haben Sie nicht die Boa Constrictor bemerkt, die Sie vorhin beinahe mit ihrem Kopf gestreift hätten?«
    »Das war doch nur eine Liane.«
    Sixpence schüttelte den Kopf. »Sehen Sie, das ist genau, was ich meine. Nichts ist hier, wie es scheint. Betrachten Sie mal diesen Zweig hier.« Er deutete auf ein trockenes Ästchen, das sich inmitten eines grünen Busches befand und leicht zitterte. Während ich mich noch wunderte, was den kleinen Ast wohl in Schwingung versetzte, löste sich plötzlich ein Anhängsel, glitt durch die Luft und griff nach vorn. Als sich weitere Gliedmaßen in Bewegung setzten, begriff ich, dass es sich um ein perfekt getarntes Insekt handelte.
    »Eine Stabheuschrecke«, murmelte ich.
    »Wie ich gesagt habe: alles Lug und Trug.«
    Ich starrte auf den schwankenden Zweig: »Aber das ist doch das beherrschende Prinzip in der Natur: Jeder gegen jeden, und der mit den raffiniertesten Tricks gewinnt.«
    Sixpence schüttelte lachend den Kopf. »Das kann nur jemand sagen, der sein Leben in Bibliotheken verbracht hat.«
    »Hab ich ja gar nicht«, erwiderte ich. »Als ich fünf war, kurz nach dem Tod meiner Mutter, hat mich mein Vater mit auf Reisen genommen. Er war ebenfalls Biologe. Wir verbrachten fast zwei Jahre in Tansania, am Fuß des Kilimandscharo.«
    »Dann ist das gar nicht Ihr erster Aufenthalt in Afrika?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ist aber schon sehr lange her. Meine Mutter war kurz zuvor gestorben, und ich fühlte mich, als habe jemand mir mein Leben gestohlen. Aus heutiger Sicht betrachtet mag das naiv klingen, aber damals habe ich gelernt, so etwas wie Demut gegenüber der Schöpfung zu empfinden.«
    »Eine Einstellung, die ich voll und ganz teile«, sagte Sixpence. »Nehmen Sie nur Stewart und mich. Wir beide empfinden ähnlich, und das, obwohl ich in der Tradition meiner Ahnen

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