Reptilia
das sich nicht wünscht, diesem Wesen einmal von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen. In manchen Gegenden hat es den Status eines Gottes. Seinen Namen umgibt eine Aura von Angst und Faszination, wie Sie es sich kaum vorstellen können. Und das seit Jahrhunderten.« Sie schenkte sich ein Glas Wein ein. »Ich weiß ja nicht, wann die Legende vom Ungeheuer von Loch Ness geboren wurde, aber Mokéle m’Bembé ist älter, das versichere ich Ihnen. Und jetzt kommen Sie und behaupten, es gesehen zu haben.« Sie schüttelte den Kopf.
»Emily hat es ebenfalls gesehen, und sie hat es sogar gefilmt«, sagte ich. »Was glauben Sie, warum die Videoaufzeichnungen einen so großen Wert für Lady Palmbridge darstellen? Wegen ihnen war sie bereit, im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen zu gehen. Wahrscheinlich hätte den Dorfbewohnern von Kinami noch schlimmeres Unheil gedroht, wenn sie in der Lage gewesen wären, die Aufnahmen anzusehen. Es war Glück im Unglück für sie, dass die Abspielfunktion der Kamera defekt war. Hätten die Dorfbewohner gesehen, was wir gesehen haben …«, ich schüttelte den Kopf.
» Ihnen scheint das Schicksal dieser Menschen wirklich nahe zu gehen. Das wundert mich. Ihr Weißen interessiert euch doch im Allgemeinen nicht besonders für die Belange meines Volkes.«
»Niemand hätte sterben müssen, wenn man von Anfang an mit offenen Karten gespielt hätte. Was mich so ärgert, ist …« Weiter kam ich nicht, denn in diesem Moment stand Maloney wieder neben uns. Irgendetwas an seiner Haltung verriet mir, dass wir uns in höchster Gefahr befanden.
*
Schweißgebadet fuhr Egomo auf. Er zitterte am ganzen Leib. Immer noch glaubte er den Schmerz von messerscharfen Zähnen zu spüren, die sich in sein Fleisch gebohrt hatten. Er blickte auf seinen Körper und tastete sich ab. Unter den Verbänden spürte er, dass alles noch an Ort und Stelle war. Den Göttern sei Dank war es nur ein Traum gewesen. Geblieben waren jedoch die Angst und das Gefühl unmittelbarer Bedrohung. Seine Sinne waren auf das Äußerste gespannt. Er richtete sich auf und suchte nach einem Halt. Seine Schulter meldete sich mit einem Stechen, das ihm die Tränen in die Augen trieb. Um ein Haar wäre er gefallen, als die Woge von Schmerz über ihn hinwegbrandete. Er klammerte sich an einer der Vorratskisten fest, schloss die Augen und wartete, bis der Schwächeanfall vorüber war. Nach drei Atemzügen hatte er sich wieder unter Kontrolle. Und dann spürte er es wieder. Da draußen war etwas.
Etwas Großes.
Er blickte sich um. Hätte er doch nur seine Waffe nicht verloren. Alles, was ihm geblieben war, war das stumpfe Buschmesser, dass er vor ewigen Zeiten gegen zwei erlegte Duickerantilopen getauscht hatte. Eine lächerliche Waffe, kaum fünf Finger breit. Er musste an die Augen denken, die im Traum auf ihn heruntergestarrt hatten, diese handtellergroßen grasgrünen Augen, und er spürte, dass er mit dieser Waffe keine Chance hatte.
Dann sah er eine offene Kiste, in der sich allerlei Werkzeug befand. Sein Blick fiel auf ein Messer von der Länge seines Unterarms. Ob er sich das wohl ausborgen durfte? Er tastete danach und ließ seinen Daumen vorsichtig über die Schneide gleiten. Scharf, stellte er mit Befriedigung fest, eine gute Klinge. Er musste sie einfach nehmen, mochten die anderen es auch nicht gutheißen. Die Situation erforderte es. Mit zusammengebissenen Zähnen verließ er das Zelt.
*
» Löscht das Feuer, sofort!«
Noch ehe ich begriffen hatte, was hier vor sich ging, hatte Sixpence einen Eimer Wasser in das Feuer geschüttet. Von einer Sekunde zur anderen umgab uns pechschwarze Dunkelheit.
Ich saß wie versteinert auf meinem Hocker, unfähig, etwas zu sagen oder mich zu bewegen. Nach und nach erkannte ich Einzelheiten in unserer Umgebung, und ein Detail alarmierte mich besonders. Der Pygmäenkrieger war erwacht. Etwa zehn Meter von uns entfernt stand er am Saum des Wassers, unser Brotmesser in der Hand, und starrte auf den See hinaus.
Niemand hatte ihn kommen hören oder gesehen, wie er das Zelt verließ. Er kam und ging wie ein Schatten, und genau wie bei Maloney wurde seine Aufmerksamkeit von etwas angezogen, das sich draußen auf dem See befand. Ich reckte meinen Hals, um mehr zu sehen, doch es waren nur undeutliche Schemen zu erkennen. Sie hätten alles Mögliche bedeuten können. Bäume, Sträucher oder Nebelschwaden. In dieser Finsternis wirkte jede Form bedrohlich, doch mein Verstand
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