Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
Leider stehen die Aussichten, dass ich infiziert bin, sehr schlecht. Das hat man von seiner Monogamie.‘
Dieser Mensch tat mir unsagbar leid, ich mir selber aber auch.“
Edmund kritzelte noch immer mit der Gabel auf dem Tischtuch herum.
„Sag mal, Gerd, weißt du, wo den Empfängern die Organe übertragen werden. Transplantiert, meine ich. Hier doch wohl kaum.“
„In aller Herren Länder. Herztransplantationen jedoch vorwiegend in Repuestos.“
Gerd sah Edmunds Augen aufleuchten und beeilte sich mit der Empfehlung: „Vergiss es! Dabei lässt sich keine Info nach oben schmuggeln. Vor drei oder vier Jahren hat ein Pfleger eine Elastikbinde mit einem Notruf beschriftet, um ihn als Kassiber in die Welt zu schicken. Der Hilferuf hat das Licht der Welt nie erreicht. Der Pfleger flog auf, landete in der Konservierung, sein Kopf in Spiritus, allen zur Warnung. Er steht auf einem Sockel im Flur vor den OP-Räumen, ein informierendes Schildchen unter dem Kinn. Es wird seitdem kein Verbandszeug aus Repuestos mehr für Organempfänger verwendet, sondern mit dem jeweiligen Patienten von oben aus in den OP geliefert.“
„Mich wundert, dass oben kein einziger Organempfänger je ein Wörtchen über das zum Himmel schreiende Verbrechen hat durchsickern lassen.“
„Mann, Edmund! Wo lebst du? Die Spendenempfänger lernen selbstredend Repuestos nicht kennen, können sich weder mit noch ohne Absicht verplaudern. Wie das funktioniert? Einer der vier Einstiegsschächte von oben, und zwar der, durch den ich in die Hölle geschickt worden bin, befindet sich unter dem Lukaskrankenhaus in der Niederräder Landstraße. Ein Spendenempfänger weiß zwar um die Illegalität, sieht sie aber lediglich in der Form einer teuer erkauften Bevorzugung. Das veranlasst ihn zur Diskretion. Er wird am Flughafen Rhein-Main abgeholt, in eine Luxussuite im Lukaskrankenhaus gebracht und im OP erster Klasse narkotisiert. Wenn er später in der Intensivstation aufwacht, hat er keine Ahnung, dass die Operation dreißig oder mehr Meter tief unter der Erde stattgefunden hat, und er weiß auch nicht, dass sein Spender nicht etwa ein Unfalltoter, sondern ein lebendiger Gefangener einer Verbrecherorganisation ist. So einfach ist das.“
Er betrachtete Edmunds sprachlosen Gesichtsausdruck und fuhr fort: „Dem Pfleger, dessen Kopf du auf einem Sockel in einem Glas Spiritus bewundern kannst, solltest du je die Herzchirurgie betreten, was Gott verhüten möge, folgten drei Chirurgen in die Konservierung. Der letzte vor anderthalb Jahren. Seitdem hat niemand mehr einen Versuch unternommen. Es grenzte an Zauberei, einem Operierten ein Zeichen für die Welt mitzugeben. Jeder Handgriff, jede Bewegung wird während der OP aus allen Perspektiven videoüberwacht. Das Verbandszeug kommt hier unten auf dem Bett an, in dem der Organempfänger von oben nach unten und zurück transportiert wird. Es befindet sich kein Material im Transplantations-OP …
Die Chirurgen müssen ihre Arbeit nackend verrichten. Oben angekommen, wird der Mensch, der noch im Tiefschlaf ist, trotz aller Vorkehrungen auch noch akribisch visitiert. Es ist unmöglich, auf diesem Weg einen Kassiber in die freie Welt zu schicken.“
„Woher weißt du das alles?“
„Von der Obrigkeit höchstselbst. Seit der Konservierung des dritten Chirurgen kommen in regelmäßigen Abständen die Videoaufnahmen seiner Exekution mit entsprechendem Begleittext über alle Monitore. Sie wird jeweils einen Tag zuvor angekündigt und alle sind verpflichtet, den Film anzusehen, auch die, die ihn längst kennen. Danach herrscht tagelang schwermütiges Schweigen im Camp und die Gesichter sind noch blasser.“
Bedrücktes Schweigen herrschte auch jetzt. Nach einer Weile stellte Edmund fest:
„Der Löwenanteil der Glieder und Organe wird also exportiert. Unsere einzige Chance besteht demnach darin, dass eines Tages ein entsprechendes Frachtstück an einer Grenze oder in einem Flughafen vom Zoll kontrolliert wird und eine Untersuchung ins Rollen kommt.“
Gerd nickte, schüttelte aber gleich darauf den Kopf.
„Das Unglück ist, dass diese Chance nicht besteht, organisiert, wie der Clan ist, kommt die Ware nicht einmal in die Nähe von Zollkontrollen.“
„Sieh mal, da draußen, ist das nicht Gustav, der da vorbeigeht?“
„Sollte mich sehr wundern. Den habe ich hier noch nie gesehen, aber – ist seine Zeit in der Apathie vorbei?“
Sie ließen die Reste auf ihren Tellern zurück und eilten hinaus.
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