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Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Titel: Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Reuther
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Provokation. Horst hatte sie am Frühstückstisch mit der „Angst vor der eigenen Courage“ aufgezogen. Das war nicht fair, er wusste sehr wohl, dass sie die Karikatur der elitären Weltrevoluzzer von Anfang an nicht für die Öffentlichkeit vorgesehen hatte. Davon abgesehen konnte sie es Dr. Leitmeier nicht antun, der die Ausstellung für sie ermöglichte. Er war mit einigen der Figuren ziemlich dick befreundet – am Ende gehörte er gar dazu – viele Akademiker hatte der Linksdrall eingeholt. „Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, zitierte sie flüsternd. Also gut. Heute nicht. Marion schob die „Ouvertüre zur Apokalypse“ an ihren Platz zurück, zupfte vor dem Garderobenspiegel ihr Pony zurecht, nahm ihre Tasche und verließ die Wohnung. Im Treppenhaus traf sie Horst. Er hatte früh Schluss gemacht, um bei den Ausstellungsvorbereitungen zu helfen. Für Samstag war die feierliche Eröffnung angesagt.
    „Ich habe nicht geglaubt, dass du es wirklich schaffst, Herr Hauptkommissar!“, rief sie begeistert. „Nun können deine Falkenaugen darüber wachen, dass wir alles ordentlich arrangieren und“ – damit nahm sie sich selbst auf die Schippe – „meine Werke ins rechte Licht gerückt werden.“
    Sie hatten sich gerade in den Bus gesetzt, als es an der Seitenscheibe klopfte. Eine junge Frau sah sie strafend an und schrieb zugleich den Strafzettel aus.
    „Zu früh gefreut! Mit Ihrem Auftauchen, Kollegin, hatte ich erst zehn Minuten später gerechnet.“ Der „Kollege“ grinste säuerlich und zückte seine Brieftasche. Die Politesse, die sehr wohl wusste, wen sie da berappte, lächelte süffisant. Mit zehn Euro war die Sache erledigt und sie fuhren los. Der Fahrer steuerte den Bus die Burgstraße hinunter und erklärte: „Ich fahre durch die Innenstadt und über die Messe auf die Autobahn, HR 4 hat einen Stau im Anlagenring durchgegeben.“
    „Alles klar“, sagte Marion und warf einen Blick in den Laderaum. Die Bilder waren, durch Pappkartons voneinander getrennt, in zwei Stapeln ordentlich übereinandergeschichtet. Vier ihrer sechs Neuschöpfungen und vierundzwanzig Teile, die sie vergangenen Herbst im Bürgerhaus Bornheim schon ausgestellt hatte, ohne ein einziges zu verkaufen – trotz vieler Bewunderer. Ob es lauter Heuchler waren oder arme Tröpfe, die sich ein Bild von ihr nicht leisten konnten, blieb dahingestellt. Immerhin hatte sie zwei neue Bilder auf der letzten Party in ihrer Wohnung an den Mann bringen können, eines davon an Dr. Leitmeier, der nun schon zwei von ihr besaß. Dieser Arzt, der ihre Malerei so bewunderte, war für Marion überhaupt ein Glückstreffer. Er hatte seinen Schwager, den Chef der Rumkorff KG, zu der Ausstellung in der Eingangshalle seines Betriebs überredet. Sie versprach sich einen glücklicheren Verlauf als bei der im vergangenen Herbst. Dr. Leitmeier war nicht nur bereit, die Vernissage zu moderieren, er hatte auch eine Reihe prominenter Persönlichkeiten aus Kultur und Politik gewinnen können, die Eröffnung zu besuchen. Darunter zwei, die sich beim Anblick der Ouvertüre zur Apokalypse gewiss provoziert gefühlt hätten. „Vielleicht aber auch hätte es sie mit Stolz erfüllt oder mit Heiterkeit und beides wäre noch viel schlimmer.“
    „Wie bitte?“
    „Oh!“ Marion fuhr irritiert herum. Hatte sie laut gedacht? „Ich war im Moment woanders, entschuldige.“
    Horst musterte sie von der Seite. Er wusste sehr wohl, worum ihre Gedanken sich drehten. Sie hatte ihr Herzstück zurückgelassen, war erleichtert darüber und traurig in einem.
    Der Kleinbus passierte die Alte Oper Richtung Westen. Der Verkehr ging nur stockend vorwärts, es nieselte dazu.
    „Hat man schon eine Spur zu seiner Tochter gefunden oder zu seinem Sohn?“
    „Leitmeiers? – Nein. So wenig wie zu den Konrads und allen anderen. Reinfeld war schon am Ende seiner Kräfte. Die jüngsten Ereignisse haben ihn wieder aufgerichtet und die Hoffnung neu belebt, dass es doch noch gelingt, die Hintermänner aufzuspüren. Wenn das gelänge, hieße das Befreiung der Entführten oder … Entdeckung eines Massengrabes.“
    „Oh Gott!“ Marion – im Kopf überwiegend mit der bevorstehenden Vernissage befasst, schreckte bei Horsts letztem Wort in die Höhe. „Mal nicht den Teufel an die Wand!“
     
     
     
    ***
     
     
     
     
     
    Gerd bestellte Hirschbraten mit Preiselbeeren. Edmund hatte noch immer keinen Appetit. Bis auf die Vorsuppe war Mittagessen kein Muss, dennoch

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