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Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Titel: Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Reuther
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Frauen gerade durch dieses Ereignis Fürchterliches erspart geblieben ist. Der Pfarrer fuhr fort.
    „Unsere Seele harret des Herrn. Er ist unsere Hilfe und unser Schild. Denn unser Herz freut sich sein, und wir trauen auf seinen heiligen Namen. Deine Güte, Herr, sei über uns, wie wir auf dich hoffen. Lasset uns beten. Vater unser …“ Sie beteten im Sitzen, die Köpfe zu den gefalteten Händen geneigt, da und dort zu einer einzelnen wie zum Falten gekrümmten Hand. Die helle Stimme des Pfarrers führte den murmelnden Chor an. Edmund schielte zu Gustav hinüber und tatsächlich, die Hand, “die ihm nicht mehr gehörte “ , blieb auf dem Rücken, er betete nur mit der einen, der linken.
    „… und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“ Die Orgel erklang, die Gemeinde sang: „Ein feste Burg ist unser Gott …“ Es war beinahe wie oben in einer richtigen Kirche, doch dann, nach der zweiten Zeile der zweiten Strophe, Und wenn die Welt voll Teufel wär, und wollt uns gar verschlingen …, erhob sich der von vorhin aus der ersten Reihe, humpelte, die Krücken fest auf den Boden stampfend, zum Altar, entnahm ihm einen silbernen Kelch, warf ihn in das mittlere bunte Glasfenster und fegte mit einer seiner Krücken die übrigen heiligen Gerätschaften vom Altar. Orgel und Stimmen verstummten und der Wüterich schrie: „Wie bitte? Wenn sie wär? Die Welt ist voller Teufel und dabei , uns zu verschlingen. Keiner wird uns retten, der ohnmächtige Allmächtige schon gleich gar nicht. Aus keiner der Trübsalen. Und alle Übel werden uns rühren, bis zur letzten Hand und zum letzten Fuß!“ Damit fiel er vornüber auf den goldumrandeten roten Teppich und war tot.
    „Gott sei seiner Seele gnädig.“
    Zwei Pfleger aus der Konservierung holten ihn auf der Tragbahre ab, die Gemeinde verließ verstört den Saal und ließ den Pfarrer betreten zurück.
    Edmund und Gerd begleiteten Gustav bis zu seiner Tür. Er beachtete sie nicht, ging in sein Zimmer und verriegelte es.
    „Gehen wir.“
    „Ja. Wohin?“
    „Zur Bücherstube.“
    Gerd nickte. Sie liefen zum Lilienpfad.
    „Armes Schwein, jener Rufer in der Wüste. Wie hat er sich aufgeregt! Und nun ist er tot. Weißt du, wer das war?“
    „Hm. Josef Reimann. Bischof von Kernstadt.“
    „Sag bloß!“
    „Er hatte vor dem jetzigen Prediger, Otto Neubert, den evangelische Gottesdienst hier in Süd geleitet. Anfangs in der üblichen Leier zu den Versehrten mit salbungsvollen Worten des Trostes und nach seiner Unterschenkelamputation mit wüsten Reden gegen Gott. Ich war nie dabei, hab‘s immer am nächsten Tag am Frühstückstisch mitbekommen. Irgendwann wurde er abgesetzt und Otto Neubert übernahm das Amt. Neubert war oben Hilfspfarrer an der Martin-Luther-Kirche.“
    „Hilfspfarrer?“
    „Oder wie man dazu sagt.“
    Sie betraten die Bücherstube und Edmund blieb das Herz stehen. Ute. Sie blätterte im SPIEGEL und funkelte ihm wütend entgegen, knallte das Magazin auf den Tisch und kam auf ihn zu.
    „Blödmann! Deinetwegen bin ich jetzt schon hier. Könnte noch in West sein, mit dickem Bauch und ein paar heilen Wochen vor mir. Stattdessen: eine Niere weg und bald mein linkes Bein, bis zur Hüfte!! Arschloch!“
    Sie brauste an ihnen vorbei nach draußen. Gerd sah ihr erstaunt nach und fragte:
    „Was war denn das?“
    Edmund blätterte bereits weiter hinten die Main-Post durch. Oben waren Wahlen im Gange.
    „Die Republikaner haben Gott sei Dank kaum eine Chance“, sagte er, „aber es steht zu befürchten, dass die PDS gewaltig zugenommen hat.“
    Ansonsten nichts Neues. Die Inflation wuchs weiter. Ein Report über die Vermissten, die Entführten, fehlte. „Aber hier!“, rief er zu Gerd hinüber, der am anderen Ende den Sportteil der Frankfurter Rotschau studierte, „das ist interessant! Das pharmazeutische Präparat ‚Epikur 254‘ ist jetzt lizenziert und freigegeben. Das Wundermittel, entwickelt im Labor des Professor Umberding in Heidelberg, wird von der Epikulum AG hergestellt. Vor etlichen Wochen stand ein Bericht darüber im Spiegel der Zeit , da fanden die ersten Tests statt. Es sollte mich wundern, wenn das Zeug nicht hier in Repuestos -Süd in Gebrauch wäre, wenn ich bedenke, wie brav die Amputierten ihren Zustand hinnehmen. Kein Jammern, kein Heulen, kein Zähneklappern. Ein Quäntchen Chemie und du hast die Weisheit der epikurischen Philosophie in dir. Ein immens wichtiger Beitrag, der verhindert, dass wir hier reihenweise durchknallen

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