Requiem: Roman (German Edition)
groben Messingscharnieren. Als die Schreiner sie testeten, hörte man es selbst in den B- und C-Flügeln des Gefängnisses. Robert bekam weiterhin Informationen von den Gefangenen, die ihm das Essen und seine Post brachten. Der Knoten am Strick war ein Schifferknoten oder etwas Ähnliches, kunstvoll und zugleich improvisiert wirkend.
Sonntagnacht nach dem Gesuch wurde er von McCulla, dem obersten Aufseher, der ihm mit dem Strahl der Taschenlampe ins Gesicht leuchtete, geweckt.
»Wolltest du nicht wissen, wie der Galgen aussieht? Jetzt ist er fertig, also komm schon und schau ihn dir an.«
Robert folgte ihm aus der Zelle den Gang hinunter und spürte die Kälte des frostigen, schwarzen Basalts. McCulla öffnete die Tür zur Hinrichtungskammer. Die Konstruktion hatte etwas Komisches und Unseriöses, wirkte zusammengeschustert. Die frisch gesägten Bretter, die glänzenden Bolzenköpfe. Auf dem Boden unter dem Galgen lagen Holzspäne.
»Der Strick fehlt«, sagte Robert.
»Allen kommt in den nächsten Tagen mit seiner Ausrüstung her«, sagte McCulla, »ich sag dir Bescheid, keine Angst.«
*
Am 5. Dezember 1961 wurde Robert McGladderys Gnadengesuch an Brian Faulkner, den Innenminister, abgelehnt. Über den Briefkopf des Schreibens, das Roberts Anwälten die Entscheidung mitteilt, hat Faulkner mit Füller »Lasst das Recht seinen Lauf nehmen« geschrieben. Es ist schwer nachzuvollziehen, warum er den Hang verspürte, einem Schriftstück mit dem Beschluss, dem Gnadengesuch in deutlichen juristischen Formulierungen nicht nachzukommen, diese Bemerkung hinzuzufügen. Es ist, als repräsentiere das offizielle maschinengeschriebene Schreiben für Faulkner eine Seite des Rechtssystems, und das Recht an sich eine andere.
James Brown teilte Robert am Abend des 5. Dezembers mit, dass sein Gnadengesuch abgelehnt worden war. Später sagte er, Robert habe keine Emotionen gezeigt. Wie schon beim Urteilsspruch wunderte sich Brown über Roberts Reaktion. Es war nicht so, dass er keine Emotionen zeigte, sondern eher, dass überhaupt keine vorhanden waren; eine Beobachtung, die bei seinem Schuldspruch auch andere gemacht hatten. Das gleiche Fehlen von Emotionen wurde auch an Ruth Ellis und James Hanratty bei ihren Mordprozessen festgestellt.
»Ich werde zu Ende bringen, was ich über mein Leben aufschreibe«, sagte Robert, »dafür reicht die Zeit.«
Der Wärter McCulla hielt sein Wort. Er weckte Robert am Morgen des 23. und übergab ihm ein Stück Papier. Die Worte darauf waren in dicken Buchstaben geschrieben.
Hinrichtungskiste No 2
Inhalt
Stricke 2
Klotz- und Falltür 1
Riemen 2
Sandsack 1
Messstab 1
Kreidestift 1
Packschnur 1
Kupferdraht 1
Kapuze 1
»Was hältst du davon, McGladdery«, sagte McVeigh, »na, was hältst du davon?«
Abgesehen vom Kupferdraht verstand Robert die Funktion jedes einzelnen Bestandteiles. Die Liste war von beruhigend altmodischer Qualität. Einfache handwerkliche Gegenstände. Die Vorstellung, dass die gesamte Prozedur fachgerecht und in alltäglicher Weise durchgeführt werden würde, gefiel ihm. Er erinnerte sich an einen Satz, den Mervyn benutzt hatte, als er ihm zeigte, wie man Leder zuschneidet.
»Zwei Mal messen und einmal schneiden, so sagt man doch, nicht, Mr McCulla?«
»In deinem Fall heißt es zwei Mal messen und einmal fallen lassen, McGladdery«, sagte McCulla.
»Sagen Sie mir«, sagte Robert, »für was ist der Kupferdraht?«
»Das wirst du früh genug herausfinden«, antwortete McCulla.
»Ich will bloß wissen, wie die Dinge funktionieren.«
»Ach, darum hast du Pearl bis auf die Haut ausgezogen? Du wolltest herausfinden, wie Mädchen funktionieren? Wolltest dich mit eigenen Augen überzeugen?«
*
McCrink rief Harry Ferguson an und vereinbarte, sich mit ihm im Slieve Donard Hotel in Newcastle zu treffen. Montagabend fuhr McCrink der Küste entlang in der Dunkelheit nach Newcastle. Die Luft war statisch aufgeladen, Gewitterwolken standen über der See, Frachter, die den Hafen verlassen hatten, waren knapp am Horizont auszumachen. McCrink hatte angerufen, aber er kam sich trotzdem vor, als sei er von Richter Currans Wahlvertreter herbefohlen worden, der ihn erwartete.
In Newcastle waren kaum Menschen unterwegs. McCrink konnte Leute sehen, die sich durch die Spielhallen bewegten; als er vor dem Hotel parkte, fielen erste Regentropfen.
Er fand Ferguson in einem verglasten Anbau. Er saß in einem Lehnsessel mit Blick aufs Meer. Er sah aus wie ein Wächter von Geheimnissen, ein
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