Requiem: Roman (German Edition)
hier auf ganz schön dünnem Eis. Schick mir die Telefonaufzeichnungen, und ich schau sie mir an.«
*
Die Anhörung von Robert McGladderys Einspruch gegen sein Todesurteil fand am 16. November statt. Vorsitzender des Berufungsgerichtes war Richter H. A. McVeigh, der seinerzeit Iain Hay Gordon im Mordprozess Patricia Curran verteidigt hatte. Der Einspruch fußte auf neun Beweggründen, davon drei Hauptbegründungen. Der erste betraf Roberts Verhalten in den Tagen nach dem Mord, das nicht zu jemandem passte, der ein niederträchtiges Verbrechen verübt hat und unter ständiger Überwachung stand; eine Tatsache, auf den der Prozessrichter die Geschworenen hätte aufmerksam machen müssen. Die zwei anderen Begründungen betrafen Richter Currans Bemerkungen in seiner Zusammenfassung, die Geschworenen sollten vorsichtig sein mit Rückschlüssen, was mögliche »Gaunerei« vonseiten der Polizei aufgrund von Aussagen eines Mannes angehe, der vor dem Gericht unter Anklage steht. Brown wies auf die implizite Anklage in der Wortwahl des Richters hin. Er vermutete, es gebe eine Absprache, damit die Fakten des Falles passten, um McGladdery zum Killer abzustempeln und jede andere Möglichkeit ausschließen zu können. Er legte die Vermutung nahe, die Polizei sei bereit gewesen, nahezu alles zu unternehmen, um zu beweisen, dass McGladdery schuldig war.
Brown brachte die Sprache auf das Wort »knavery«, »Gaunerei«, das der Richter verwendet hatte. Es war ein ungebräuchliches, ein altertümliches Wort, das eine Zeit von Vasallen und Lehnsherren heraufbeschwört, von Gerichten, durch deren düstere Hallen Schlingel in Mützen mit Glöckchen streichen.
Der letzte Punkt des Einspruches betraf den Hinweis des Richters, dass dreizehn Zeugen bestätigt hatten, dass McGladdery einen hellen Anzug getragen habe. Brown argumentierte, dass dies eine Feststellung sei, die nur von den Geschworenen hätte gemacht werden dürfen. Dadurch, dass Curran sie kommentierte, hatte er eine der wichtigsten Stützen der Verteidigung zunichte gemacht.
Nach mehreren Stunden Beratung lehnte das Berufungsgericht alle neun Beweggründe für eine Berufung ab. Das Datum für die Hinrichtung wurde auf den 20. Dezember festgelegt. McGladderys letzte Hoffnung war eine Begnadigung durch Brian Faulkner, den Innenminister.
Nach Ablehnung seiner Berufung wurde Robert in die Todeszelle im Keller gebracht. Brown besuchte ihn jede Woche, um ihn über den Verlauf seines Gnadengesuches zu informieren. Brown hatte mit Organisationen Kontakt aufgenommen, die die Abschaffung der Todesstrafe unterstützten und von denen einige ausführlich mit ihm korrespondierten.
Wenn die anderen Gefangenen in ihre Zellen zurückgebracht worden waren, trainierte Robert allein im Gefängnishof. Während des Prozesses hatte er den Bericht über sein Leben zur Seite gelegt, aber jetzt wollte er daran weiterarbeiten. Mervyn besuchte ihn weiterhin, und Robert befragte ihn nach Einzelheiten von Ereignissen, die in der Vergangenheit passiert waren.
»Man glaubt, dass man sich an Dinge erinnert, aber wenn man sie aufschreiben will, ist alles anders«, erzählte er Mervyn.
Er fragte nach Daten und Uhrzeiten, die Vergangenheit wurde undeutlich, löste sich auf, der Nebel über dem Meeresarm entzog die Stadt seinem Blick.
»Manchmal fühl ich mich, als wär ich mit meinen Gedanken woanders«, sagte Robert.
»Ich wünschte, das wäre so«, sagte Mervyn, »dann würden sie dich wenigstens in die Klapsmühle stecken.«
Robert erzählte Mervyn nicht, dass er froh war, hier zu sein und nicht in der psychiatrischen Anstalt. Will hatte die ganze Zeit davon geredet, wie oft er die Anstalt in Downshire mit ihren hohen Backsteinmauern gesehen hatte. Er hatte von gepolsterten Zimmern und Türen ohne Klinken geredet und erzählt, dass ein Insasse ausgebrochen war und eine Frau in ihrem Bett erdrosselt hatte. Wenn Robert früher in der Dunkelheit zum Damolly Hill hinaufgegangen war, hatte er auf den Klang von Schritten in der Dunkelheit hinter sich gelauscht. Aus Angst davor, was er dann möglicherweise zu sehen bekäme, hatte er sich niemals umgedreht. Das leere Gesicht mit herunterhängendem Kiefer, geifernd.
»Ich weiß, wie sich Pearl gefühlt hat«, sagte er zu Mervyn.
»Du solltest besser nicht so reden«, sagte Mervyn.
»Was wird in der Stadt geredet?«
»Sie sagen, dass du Pearl getötet hast.«
Aus seiner Zelle konnte Robert hören, wie am Galgen gearbeitet wurde. Die Falltür hing an
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