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Requiem: Roman (German Edition)

Requiem: Roman (German Edition)

Titel: Requiem: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eoin McNamee
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war der Beginn der Ära der Massenberichterstattung durch das Fernsehen, und man konnte sich die Geräte in vielen neuen Geschäften kaufen. Es wurde das Gefühl vermittelt, das neue Medium wisse, wie der Spruch der Geschworenen und die Urteilsverkündung an den Mann gebracht werden müssten. Die Menschen standen da und folgten hingerissen stummen Filmbildern, die zeigten, wie McGladdery aus dem Gericht in Downpatrick zu einem Gefängnistransporter gebracht wurde. Die Fernsehbilder hatten etwas Theatralisches. Die Übertragung polierte die Szene auf und gab ihr eine futuristische Tönung.
    Als die Berichterstattung zum Tatort am Weir’s Rock umschnitt, hatte er das unheimliche Aussehen eines im Studio ausgeleuchteten Fantasieortes. Die Menschen begriffen, dass ihnen hier neue Wahrheiten präsentiert wurden. Die Welt der Ereignisse, die auf Gerüchten beruht, der Erscheinungen und Halbwahrheiten, die Welt der Anspielungen und vergänglichen Werte eines Mediums.
    Auf der Fahrt nach Newry hielt McCrink vor dem Ardmore Hotel an. Margaret erwartete ihn. Sie sahen sich die Nachrichten gemeinsam im Fernsehraum an. Aus dem Hotel überblickte man Damolly, und sie sahen die Straßenbeleuchtung entlang der Arbeiterhäuser, wo Agnes McGladdery lebte. Sie sahen das Stoppelfeld und Weir’s Rock, der dort, wo die Lichter endeten, in der Dunkelheit aufragte.
    »Der Termin für die Hinrichtung wurde auf den 7. November festgelegt, aber McGladdery hat Berufung eingelegt«, sagte McCrink.
    »Ich frage mich, was seine Mutter jetzt denkt«, sagte Margaret.
    »Brown hat ein paar Wochen Zeit, um sich für das Berufungsgericht vorzubereiten. Und wenn das schiefgeht, ist ein Gnadengesuch bei Brian Faulkner die letzte Option.«
    »Wird irgendetwas davon klappen?«
    »Sie haben Brattys Urteil umgewandelt. Die werden kein weiteres umwandeln. Und da gibt es noch was.«
    »Nämlich?«
    »Curran.«
    Der Richter, der die Todesstrafe ausspricht. Der Richter, der das Blut annimmt, das man ihm schuldet.
    »Was willst du unternehmen?«
    »Der Richter hat McGladdery sabotiert. Jetzt werde ich den Richter sabotieren.«
    »Das kannst du nicht machen. Du weißt doch, wo du hier bist.«
    Nyuk . Die Stadt der Diebe. McCrink fuhr nach Hause, nach Rostrevor, vorbei am alten Kontor. Die Fahrenden waren wach. Er sah ihre Umrisse im Schein des Feuers. Sie schliefen nie, wanderten verloren durch ihre eigene Geschichte. Kinder der Nacht, die niemand kennt.

Dreiundzwanzig
    M cCrink parkte etwa neunzig Meter von der Einfahrt zu The Glen entfernt und ging zum Tor hinüber. Während der Fahrt hatte der Nachrichtensprecher im Autoradio Stürme aus westlicher Richtung vorhergesagt. Die Wellen schlugen über die niedrige Ufermauer gegenüber der Pforte zu Currans Haus. Tang und Strandkiesel waren über die Mauer auf die Straße gespült worden, der Wind peitschte die kahlen Bäume am anderen Ufer, herabgestürzte Äste bedeckten den Gehsteig, die Nacht war in Unruhe.
    Nachdem McCrink durch die Tore von The Glen getreten war, ließ der Wind etwas nach. Er ging die Zufahrt hoch und warf flüchtige Blicke durch die Bäume. Die Stelle, an der Patricia Currans Leiche gefunden worden war. Es kam ihm vor, als triebe sich zwischen den Schatten der Bäume das Böse aus einem Bilderbuch herum, Mord in den Karpaten oder irgendeiner anderen abgeschiedenen Gebirgsprovinz. Wenn er die Augen schloss, konnte er sie sehen, eine Gesellschaft, die am Rand des Waldes kauerte. Ein Ort der Blutrache, der streunenden Wölfe. Alte Schrecken seiner Kindheit kehrten zurück. Er stellte sich vor, dass er von Augen hinter den Bäumen beobachtet wurde. Er dachte an ein menschenähnliches sagenhaftes Biest aus einem alten Stundenbuch.
    The Glen war mittlerweile ohne Fenster. Auf dem Rasen lagen Müll und Schalungsbretter der Bauarbeiter, das Grundstück sah aus wie eine Theaterkulisse, wie eine gemalte Gruppe finsterer Herrenhäuser, die hier aufgestellt worden war, um eine erfundene und ausgereizte Geschichte weiterzuspinnen. Doch als McCrink den Hausflur betrat, spürte er die im Gebäude gefangene Kälte, hörte seine Schritte auf dem Parkettboden und erinnerte sich daran, wie er sich gefühlt hatte, als er die Leiche von Elisabeth Figg in Dukes Meadows auf dem Boden entdeckt hatte oder als er am Weir’s Rock bei Damolly gestanden war. Das waren die Orte. Die Bereiche des Todes. Er tastete sich im Licht der Taschenlampe die Treppe hoch, die Läuferstangen aus Messing lagen lose unter seinen

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