Requiem: Roman (German Edition)
mich über seinen Wunsch, sein
Geständnis zur öffentlichen Kenntnis zu bringen.
Unterzeichnet
William John Vance
Der Brief scheint verfasst worden zu sein, um jeden Zweifel in der Öffentlichkeit an der Rechtmäßigkeit der Hinrichtung von Robert McGladdery aus der Welt zu schaffen. Die Sprache ist eher die eines Juristen als eines Geistlichen. Der Satz »volle Verantwortung übernehmen« ist sonderbar und scheint mit Bedacht gewählt. Der Brief ist nicht wirklich ein Geständnis. Der Verweis auf das Verbrennen des hellen Anzugs scheint gemacht worden zu sein, um Zweifel an einem der Hauptargumente der Anklage zu beseitigen.
Man kann davon ausgehen, dass ein Mann in Roberts Lage, der mit sich ins Reine kommen will, am Abend vor seiner Hinrichtung Reue zeigen und vielleicht Einblick in die Motive geben würde, die ihn dazu brachten, diese Straftat zu begehen. Das fehlt. Stattdessen endet der Brief mit der Forderung, die vorangehenden Behauptungen öffentlich zu machen.
Zu den sechs Zeugen der Hinrichtung gehörten Pastor Vance und der Gouverneur des Gefängnisses. Als Robert um 7 Uhr 55 in die Hinrichtungskammer geführt wurde, sahen die Zeugen, wie er das Schafott betrachtete und seinen Kopf hin und her bewegte, um es sich genau anzusehen. Später sagten sie, er habe erregt gewirkt. Eine hagere, gequälte Figur im Schatten des Galgens, verängstigt durch die alltägliche Unerbittlichkeit, die Nagelköpfe und ungehobelten Planken – Roberts verbrecherische Seite schien bestätigt.
»Erregt, so ein Unsinn«, sagte Wärter McCulla, »er hat nach dem Kupferdraht gesucht, den er auf der Liste des Henkers gesehen hat.«
Für Robert war es wichtig, dass er die Dinge verstand und sie zuordnen konnte. Als Allen ihm die Kapuze überzog, wunderte er sich, warum man sie auch Haube nannte, wo es doch wirklich eine Kapuze war. Das Einzige, was er hören konnte, war die Stimme des Pfarrers. Er erinnerte sich daran, wie Mervyn ihm das Gleichnis von den anvertrauten Talenten erzählt hatte. Als er nachgefragt hatte, was ein Gleichnis sei, hatte Mervyn geantwortet: nur eine Geschichte.
Fünfundzwanzig
D ie Polizeischule in Enniskillen hat eine kleine Sammlung von Gegenständen und Dokumenten berühmter Kriminalfälle. Sie orientiert sich an der bekannten Sammlung von Scotland Yard und wird auch Black Museum, Schwarzes Museum, genannt. In einer Glasvitrine befindet sich das Kleiderbündel, das in der Sickergrube in Damolly gefunden wurde. Die schwarzen Schuhe, die rot-schwarze Krawatte, die kurze, beige Windjacke. Die Jacke scheint zur Größe eines Kleidungsstückes geschrumpft, das einem Kind gehört. Der verkommene Zauber, den sie einmal besessen hat, ist nur schwer vorstellbar.
In einer anderen Vitrine liegen Beweisstücke vom Fall Patricia Curran. Fotografien vom Tatort und von The Glen. Die Kunstmappe, die sie in der Nacht, in der sie ermordet wurde, bei sich trug. Die gelbe Mütze, die sie aufhatte. Ihr Regenmantel. Die Wichtigkeit, die diese Gegenstände zur Zeit des Mordes besaßen, ist schwer vorstellbar. Da die Stoffe der Sonne ausgesetzt waren, sind die Farben verblasst. Trotzdem wirken die Gegenstände vertraut, und man bekommt ein Gefühl für den Übergriff, der stattfand, wenn man sie betrachtet. Trotz des Sonnenlichts und der Staubpartikel, die durch die Museumsluft schweben, ist es kein Ort der Stille.
Lance Curran wurde 1962 Mitglied des Kronrates und zog nach London. Doris Curran hat Holywell nie mehr verlassen. Sie starb 1975, Curran heiratete im Jahr darauf erneut. Und so kehrt man zu dem Foto von Lance Curran zurück, auf dem er 1961 die Ehrenwache in der Downpatrick inspiziert. Curran ist sich der Kamera bewusst; die Familie Curran ist sich der Kameras allzeit bewusst. Die Gesichter der Soldaten sind verborgen, aber sie stehen da wie Angehörige eines grimmigen Freikorps, die an seine Seite beordert wurde.
Biegt man an der Belfast Road links ab, erreicht man die Ortschaft Damolly. Herz des Dorfes ist eine Zeile von vielleicht zwanzig Arbeiterhäusern, die in einer Kurve liegt. Das Haus von McGladdery findet sich in der Mitte dieser Zeile. Die Häuser sind aus Granit gebaut, die Türbalken sind aus Stein, die Fenster mit roten Ziegeln umfasst. Die Häuser sind in gutem Zustand und so belassen worden, wie sie waren, obschon einige am Ende des Hügels weiß verputzt wurden und man Fenster aus Kunststoff und andere Kleinigkeiten hinzugefügt hat. Alle Häuser haben Satellitenschüsseln, die in den
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